Trotz Verbot nicht tot! (Teil 2) Der Angriff war nun das populäre Organ unserer politischen Anschauungen geworden. Unbekümmert und hemmungslos konnten wir dort unsere Meinung vertreten. Hier wurde eine drastische und unmißverständliche Sprache gesprochen. Aber das Volk hatte dafür ein offenes Ohr. So pflegt der kleine Mann auf der Straße, an den Arbeitsstätten, im Autobus und in der Untergrundbahn zu reden; die Forderungen die hier erhoben wurden, waren durchzittert vom Empörungsschrei des Volkes, und das Volk nahm diesen Schrei auf. Unsere Zeitung, so nannten die Parteigenossen und Anhänger den Angriff. Jeder fühlte sich als Mitbesitzer dieses Organs. Jeder war davon überzeugt, daß es ohne seine Mitarbeit gar nicht existieren konnte. Sollte die Zeitung einmal Überschüsse abwerfen, so war bestimmt, daß diese restlos für die politische Arbeit der Bewegung verwandt wurden. Der Angriff war das einzige Organ in Berlin, das nicht dem Kapitalismus hörig war. Keiner von uns hatte davon seine Vorteile, nur die Bewegung selbst. Das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben. Wir haben uns immer mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, aus diesem Organ ein privatkapitalistisches Unternehmen machen zu lassen. Jeder, der daran mitarbeitet, bekommt für seine Arbeit soviel, als nach Maßgabe unserer finanziellen Kraft möglich und in Anbetracht seiner Leistung angebracht ist. Das Blatt selbst aber gehört der Partei und damit jedem einzelnen Parteigenossen. Wer sich für dieses Blatt einsetzt, der dient damit der Partei, nicht nur in propagandistischer, sondern auch in finanzieller Hinsicht. Jeder Aufschwung, jede Zunahme an Abonnenten oder im Straßenverkauf wird gleich in bessere Leistung umgesetzt. So wuchs das Blatt mehr und mehr in seine Bedeutung hinein, und wenn damals auch von Überschüssen noch nicht die Rede sein konnte, so hatten wir es in drei Monaten doch so weit gebracht, daß die Zeitung sich aus sich selbst erhielt und für ihr Weiterbestehen nur noch Sorge gehegt werden mußte, wie wir auf die Dauer der großen Schuldenlast Herr werden konnten, die wir für ihre Gründung teils als Partei, teils als Privatpersonen auf uns genommen hatten. Da galt es manchmal, gewagte Finanzoperationen durchzuführen. Wir, die wir von Gelddingen nicht allzu viel verstehen, wurden dabei die gewiegtesten Kredit- und Pumppolitiker. Hier rissen wir ein Loch auf, um es da zuzustopfen. Mit allen Schikanen versuchten wir, die finanzielle Balance zu halten; und dabei mußten wir immer bestrebt sein, von der manchmal bedrohlichen finanziellen Situation des Blattes nichts an die Öffentlichkeit kommen zu lassen. Heute kann man es ruhig gestehen, daß wir manchmal am Ende aller Möglichkeiten angekommen waren; aber in jeder Situation fand sich zuletzt immer wieder ein wenn auch verzweifelter Ausweg, und wir blieben dabei doch guten Mutes und verrichteten unsere Arbeit weiter in der Hoffnung, daß schließlich einmal doch die Gunst des Schicksals auch über uns kommen würde. Man soll nicht glauben, daß wir in der Sorge um die ewig sich wiederholenden kleinen Nöte des Alltags zu übellaunigen Misanthropen und pessimistischen Schwarzsehern geworden wären. Ganz im Gegenteil! Wir waren alle viel zu jung, um auch nur für einen Augenblick den Mut zu verlieren. Ja, wir hatten uns an die Ausweglosigkeit unserer Lage allmählich so gewöhnt, daß wir sie als Normal-, man möchte fast sagen, als Idealzustand empfanden. Mit gesundem Humor sind wir über alle kritischen Situationen hinweggekommen. Wir haben damals mehr gelacht, als den Kopf hängen gelassen. Überprüft man heute rückschauend die ganze Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung, von der kleinen, unbedeutenden Sekte angefangen, bis zur großen, imponierenden Massenpartei, man wird immer wieder zu dem Ergebnis kommen: es ist schön und beglückend, vor oder in der Erfüllung seiner Ziele zu stehen. Schöner aber und beglückender noch ist es, mit dem Kampf um große Ziele zu beginnen und aus der Verzweiflung eines unerträglichen Zustandes doch noch die Kraft und den Glauben zu schöpfen, mit der Arbeit anzufangen, auch wenn das widersinnig, aberwitzig und aussichtslos erscheinen mag. Wir waren damals alles andere als finstere und wilde Putschisten. So pflegte die Presse uns zwar darzustellen. Die nationalsozialistische Führerschaft wird in der Hauptsache von jungen deutschen Männern gestellt,die durch die Not der Zeit
Mit einer frechen Unbekümmertheit haben wir uns der Dinge der Öffentlichkeit bemächtigt. Mit jugendlichem Temperament begannen wir unsere Arbeit, und nur diesem jugendlichen Temperament ist es zu verdanken, daß sie nicht erfolglos geblieben ist.
Die Jugend erhob sich gegen die Vergreisung eines politischen Zustandes, die für sie
unerträglich geworden war. Sie löste die Erstarrung des politischen Lebens und
durchbrach die Dämme, die die aktive Beweglichkeit der deutschen Nachkriegspolitik
einengten. Die Jugend hat die Geister aufgeweckt, die Herzen heiß gemacht und die
Gewissen wachgerüttelt. Wenn es heute in Deutschland noch eine Hoffnung auf eine
andere
Zukunft gibt, wem anders wollte man das verdanken als uns und unserer Bewegung!
Es gibt Tage im Leben jedes einzelnen Menschen, an denen man glauben möchte, alles Glück oder alles Unglück habe sich zu einer Stunde ein Stelldichein gegeben. Man kann dabei auf die Vermutung kommen, der Mensch solle durch ein Übermaß von Glück für vergangenes Unglück belohnt oder durch ein Übermaß von Unglück für vergangenes Glück bestraft werden. Das Schicksal hat sich für diesen Zeitpunkt all seine angenehmen oder unangenehmen Überraschungen aufgespart und gießt sie nun im Übermaß über den davon Betroffenen oder Gesegneten aus. Ein solcher Tag war für die Berliner Bewegung und für mich persönlich der 29. Oktober 1927. Ich beging an diesem Tage gerade meinen dreißigsten Geburtstag. In aller Herrgottsfrühe schon kamen die glücklichen Überraschungen in Hülle und Fülle. Die zweite Post mittags brachte einen Brief des Polizeipräsidiums, in dem mir kund und zu wissen getan wurde, daß das Redeverbot, das nun seit über vier Monaten über mich verhängt war, aufgehoben sei mit der Maßgabe, ich dürfe nun wieder in öffentlichen Versammlungen reden, wenn das Polizeipräsidium nach vorheriger Anmeldung für die Abhaltung der Versammlung die Genehmigung erteile. Das war ein unerwarteter Glücksfall. Nun mußte der Massenzustrom zu einer einsetzenden Versammlungslawine unaufhaltsam sein. Die Partei hatte eine neue Finanzierungsmöglichkeit, und damit konnten wir der drängenden Geldsorgen allmählich Herr werden. Von dieser ersten Gratulation zum 29. Oktober 1927 an riß dann die Kette der glücklichen Ereignisse nicht mehr ab. Es regnete Blumen, Glückwünsche und Telegramme von seiten der treuen Parteigenossen, und es kam darin ganz spontan und ungemacht das Solidaritätsverhältnis zum Durchbruch, das sich in nahezu einjährigem Kampf zwischen der nationalsozialistischen Bewegung in Berlin und ihrer Führung allmählich herausgebildet hatte. Den Abend dieses denkwürdigen Tages verbrachte ich bei einem alten Kampfgenossen. Ich wurde dort mit geheimnisvoller Miene zu einem Spaziergang eingeladen, von dem aus wir, ohne daß ich das als verdächtig empfand, in irgendeinem Etablissement draußen in einem Vorort Berlins landeten. Ahnungslos betrat ich mit meinem Begleiter den Saal, und wer kann sich mein Erstaunen vorstellen, als ich hinter den verschlossenen Türen fast die gesamte Parteigenossenschaft von Berlin versammelt vorfand. Man hatte eine Geburtstagsfeier für mich improvisiert, und die Parteigenossen hatten es sich nicht nehmen lassen, dazu ihre eigenen Überraschungen auszusinnen. In drastischer Weise kam dabei der Berliner Volkshumor zu seinem Recht. Man überreichte mir feierlich einen Maulkorb, eine amtlich patentierte, gesetzlich geschützte Isidormaske: "Durchaus verfassungstreu, schützt gegen Gummiknüppelhiebe!" Es regnete Glückwunschadressen von SA. und politischen Sektionen, in unverfälschtem Dialekt und mit einem Mutterwitz geschrieben, wie er eben nur in Berlin zu Hause ist. Ein politischer Funktionär überreicht mir ein riesengroßes Paket; und dem erstaunten Auge bietet sich ein gänzlich unerwartetes, überraschendes Bild. Es enthält zweitausendfünfhundert neue Abonnenten für den Angriff, die die gesamte Parteigenossenschaft im Laufe von zwei Monaten ohne mein Wissen in rastloser Werbearbeit zu meinem Geburtstag gesammelt hat. Aber nicht genug damit. Diese armen und mittellosen Menschen hatten unter sich eine private Sammlung veranstaltet und legten mir als Ergebnis in barem Gelde nahezu zweitausend Mark auf den Geburtstagstisch. Damit war ich in die Lage versetzt, die drängendsten Schulden abzugleichen. Ich hatte den Rücken frei für neue politische und propagandistische Arbeit. Ein SA.-Mann, der sich bei mir melden läßt, überreicht mir einen verschlossenen Briefumschlag. Dieser enthält die zerrissenen Schuldscheine über zweitausend Mark, die ich bei der Gründung des Angriff auf meine Person genommen hatte. In lakonischen Worten stand dabei geschrieben, daß die Schuld damit getilgt sei. Mit einem einzigen Schlage waren nun alle Finanzsorgen überwunden. Der Angriff wurde damit schuldenfrei, die politische Bewegung hatte einen Notpfennig, um kommenden Verwicklungen und Krisen zu begegnen. Der Angriff hatte seinen Abonnentenstamm erhöht; sein Weiterbestehen war absolut gewährleistet. Das gegen mich verhängte Redeverbot war vom Polizeipräsidium aufgehoben, und es waren somit alle Vorbedingungen geschaffen, die Arbeit im großen Stil wieder aufzunehmen und für den kommenden Winter die Partei zu neuen Erfolgen und Siegen zu führen. Damit wurden in unerwarteter Weise all die Sorgen und Bedrängnisse, die wir für die Bewegung auf uns genommen hatten, belohnt. Unser guter Stern ging wieder auf. Die Krisen, die wir innerlich längst überwunden hatten, wurden nun auch nach außenhin liquidiert. Der feste Kontakt innerhalb der Partei war wieder hergestellt, die Organisation gefestigt; wir konnten zu neuen politischen Aktionen ansetzen, ohne durch hemmende Finanzsorgen in der Bewegungsfreiheit behindert zu sein. Die politische Führung ergriff wieder die Initiative, und ihre Zeit und Kraft war nicht mehr im Übermaß durch kleinliche Geldsorgen belastet. Ich selbst war ein freier Mann und konnte mich wieder in aller Öffentlichkeit meiner politisch-agitatorischen Aufgabe widmen. Eine SA.-Gruppe führte an diesem Abend ein Laienspiel auf, das in seiner rührenden Einfalt und künstlerischen Selbstverständlichkeit die Zuhörer zu Tränen rührte. Hier wurde der geistige Weg eines deutschen Arbeiters vom Kommunismus zum Nationalsozialismus in plastischen Bildern auf die Bühne gestellt. Das Stück war von einem unbekannten SA.-Mann gedichtet und wurde von ungenannten Laienspielern zur Aufführung gebracht. "Das Nationaltheater muß aus der Nation heraus, aus dem Volk durch das Volks- und Laienbühnenspiel geboren werden. Das Nationaltheater muß Heimat für solche dramatischen Werke werden, die Träger einer heroischen Gesinnung, einer großen Idee, dramatische Werke, die Träger der nationalsozialistischen Weltanschauung sind. Aus dem Volk heraus muß das Nationaltheater emporwachsen und diesem, nicht der Masse zu eigen sein." So hieß es in der Vorrede, die einer der Laienspieler vor Beginn des Spiels zum Vortrag brachte. Die ganze Veranstaltung schloß mit einer einmütigen und überwältigenden Vertrauenskundgebung. An ihrem Ende wurde der ganze Saal plötzlich verdunkelt. Ein SA.-Mann trat in Uniform mit der umflorten Parteifahne vor die Bühne und legte in hinreißenden, aufrüttelnden Versen für uns alle das Gelöbnis ab, daß wir im Kampf nicht ermüden wollen, daß wir ihn mit neuen Mitteln und neuen Methoden bis zum Siege fortzusetzen entschlossen waren. "Wir Balina brauchen een, der uffmeebelt, wissen Se, so mit Schwunk und Jrazie, unn wir sinn ja och hellisch helle, unn die Demlaks, wo nich mitmachen, det sind ja man bloß sone doven Zujereisten... weil det wir wissen, det Sie wat kenn, unn wenn denn so eener von die Brider kommt unn Ihnen mit dolle Sachen unn Jemeinheitn anschpucken tut, lassen Se man, davor habn wa Ihnen jerne... Also hochzuvaehrenda Doktor, wehrta Volksjenosse, wir jratulieren also wie jesacht und winschen Sie allet Jute vor die Kempferei, wat uns jar nich doll jenuch herjehen kann; unn ibbahaupt mit Sie, wo allet mitmacht."
So hieß es in einem urkomischen, witzig pointierten Gratulationsschreiben eines
unbekannten SA.-Mannes. Damit wurde der Dank der Anhängerschaft zum Ausdruck
gebracht für ein ganzes Jahr Arbeit, Sorge und Kampf. Viele Schwierigkeiten hatten wir
überwunden. Aber nun konnten wir doch das befriedigende Gefühl haben,
daß
Kampf und Sorge nicht umsonst gewesen waren.
"Vom Polizeipräsidium genehmigt! Am Dienstag, den 8. November 1927, abends 8 Uhr, spricht im 'Orpheum', Neukölln, Hasenheide 32-38, Dr. Goebbels über das Thema: 'Totentanz des deutschen Volkes'. Erscheint in Massen!" Dieses Plakat klebte in der nächsten Woche an allen Litfaßsäulen der Reichshauptstadt. Die Öffentlichkeit vernahm mit Staunen, daß die unterdrückte und geknebelte nationalsozialistische Bewegung wieder auferstanden war. Trotz Verbot nicht tot! Diese Parole fand eine herrliche Bestätigung an jenem für uns entscheidungsvollen Dienstagabend, als sich um die siebente Nachmittagsstunde schon vor dem Orpheum in der Hasenheide, mitten in einem Proletarierviertel, am Vorabend der Börsenrevolte von 1918, und am selben Tage, an dem im Jahre 1923 Adolf Hitler in München die nationale Revolution ausrief, die Massen ballten und kurz nach Eröffnung der Kassen der große Saal des Orpheums wegen Überfüllung polizeilich gesperrt werden mußte. Alle waren sie herbeigeeilt, die Vorkämpfer der nationalsozialistischen Bewegung in Berlin. SA.- und SS.-Männer, politische Funktionäre, die Anhängerschaft von nah und fern. Die alte Parteigarde fand sich zusammen, um die Wiederauferstehung der nationalsozialistischen Bewegung feierlich zu begehen. Zwar war das Verbot des Polizeipräsidiums noch nicht gefallen;
Herbeigeeilt von Schraubstock und Maschine, von Kontorschemel und Fabriktisch, aus den hellen Häusern des Westens und den finsteren Höfen der Arbeitslosenämter saßen sie nun da, die Männer der alten Parteigarde. Heißen und glühenden Herzens legten sie feierlich das Gelöbnis ab, daß sie sich der Sache, der wir alle uneigennützig und mit ganzer Kraft dienten, weiter verpflichten wollten, und daß keine Macht der Welt uns zwingen könnte, von unserem politischen Glauben zu lassen. Über Terror und Verfolgung, Bedrängnis und Gefängnis triumphierten Recht und Wahrheit und stieg schimmernd und leuchtend die Fahne unseres Glaubens wieder hoch. Man kann uns biegen, aber niemals brechen. Man kann uns in die Knie zwingen, nie aber werden wir kapitulieren! Wir jungen Nationalsozialisten wissen, worum es geht. Wir sind von der Überzeugung durchdrungen, daß, wenn wir verzweifeln, Deutschland in einem Chaos versinken wird. Darum stehen wir aufrecht und fest, verfechten unsere Sache, auch wenn es aussichtslos erscheint, und werden damit in Wahrheit der Forderung gerecht,
Am 29. Oktober 1927 mußte es auch dem Schwarzseher und Skeptiker klar werden, daß eine neue Phase in der Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung in Berlin eingesetzt hatte. Jener SA.-Mann, der da mit umflorter Fahne stark und trotzig vor eine ergriffene Gemeinde hintrat und in hinreißenden und aufrüttelnden Versen seinem Zorn und Ingrimm Luft machte, hatte das ausgesprochen, was in dieser großen Stunde das heiß schlagende Herz der alten Parteigarde bis zum Überlaufen ausfüllte:
Ein Wall von teutonischen Recken. Den Kopf in den Nacken, den Trutz gewahrt! Trompeter! Blase zum Wecken! Hört die Signale, Ihr Deutschen im Reich! Die Partei in Berlin verboten! Sie wollen den Kampf, wir geben ihn Euch, Und brechen den Terror, den roten. Wir rütteln am Fundament der Gewalt, Bis die jüdischen Throne wanken, Und werden uns dann auf unsere Art Bei Euch bedanken!"
Ende
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