Die pommerschen und polnischen Kriegsziele des Großen Kurfürsten Noch kürzer als im Südwesten des Reichs sicherte der Westfälische Friede im Norden und Osten die Ruhe Deutschlands. Schweden hätte die Oder- und Wesermündung nur [28] dann unangefochten behauptet, wenn es jederzeit eine starke Landmacht einsetzen konnte und wenn im deutschen Hinterlande keine Staaten emporkamen, welche sich den künstlich gesperrten Zugang zum Meere erkämpften. Nun grenzte an Schwedisch-Pommern das wesentlich vergrößerte und vorwärtsstrebende Brandenburg. Außerdem war die schwedische Ostseeherrschaft durch Pommerns Gewinn erst halb hergestellt und wurde bereits im jetzigen Umfange auch durch Polen, Dänemark und Holland angefochten. Um sein Werk zu vollenden, mußte Schweden abermals angreifen. Schon 7 Jahre nach dem Westfälischen Frieden begannen in Livland aufs neue die Feindseligkeiten. Schwedische Regimenter zogen durch Pommern an die polnische Grenze. Ohne Kriegserklärung besetzten sie einen großen Teil des Herzogtums Preußen bis an die Tore Königsbergs. Der Große Kurfürst stand vor einer schwierigen Wahl. Polen wie Schweden waren seine Nebenbuhler und er durfte keinen von beiden siegen lassen, ohne selbst einen Vorteil als Gegengewicht davonzutragen. Eine Parteinahme war jedoch ebenso unvermeidlich wie gefährlich. Verständigte er sich mit Polen und unterlag, so verlor er seine ostpreußischen Häfen. Anderseits war er Polens Vasall; er hätte schon durch die Neutralität seine Lehnspflichten verletzt und das Herzogtum Preußen verwirkt. Auch gehörte die pommersche Frage zu den vielen 1648 nicht erledigten. Weder stand die Grenze zwischen Vor- und Hinterpommern fest noch war der Brandenburg zugefallene Teil von den Schweden geräumt. Die Nachverhandlungen verursachten große Ärgernisse und brauchten viel Zeit. Drei Dinge gaben für den Kurfürsten den Ausschlag. Er kannte Polens schlimme Verfassung und Widerstandsunfähigkeit. Zweitens getraute er sich mit dem jungen unerprobten brandenburgischen Heere noch nicht gegen die bewährte schwedische Landmacht zu kämpfen. Drittens winkten ihm bei einer polnischen Niederlage große Erfolge. Die polnischen Belehnungsansprüche, Jahrgelder, Bestechungen kosteten dem Kurfürsten viel, ohne ihm irgendwelchen Gewinn einzutragen, und entsprangen überlebten politischen Verhältnissen. Auch hinderte ihn die Lehnspflicht, "wie ein rechter Regent nach Belieben das Regi- [29] ment zu führen". Zerfiel gar das polnische Reich, so durfte Brandenburg auf wertvolle Beute hoffen. Insgeheim ließ der Kurfürst die Möglichkeiten neuer Gebietserwerbungen untersuchen. In seinem Auftrag beschäftigte sich ein Major mit den Flußübergängen und Festungswerken von Posen. Diese Gegenden schienen zur besseren Verbindung Hinterpommerns mit dem Herzogtum Preußen geeignet. Auch schob sich Ermeland unnatürlich zwischen den östlichen und westlichen Teil des Herzogtums hinein und ließ für deren Zusammenhang nur eine schmale Brücke übrig. Endlich litt das Herzogtum an einer schlechten Ostgrenze. So neigte der Kurfürst zum Bunde mit Schweden und forderte als Preis: die volle Souveränität Preußens und aller Gebiete, die er erobern würde, Ermeland mit Braunsberg, Litauen und "das Stück, welches sich von Krossen bis an Warschau und wieder bis an Neidenburg oder Ortelsburg erstreckt, damit wir eine lineam communicationis zwischen unseren märkischen und preußischen Ländern haben können", namentlich zuverlässige Weichselübergänge. Nach dem Marienburger Bündnis vom 15. Juni 1656 sollte denn auch der größte Teil der Woiwodschaften Posen und Kalisch, die Woiwodschaften Lenczyca und Sieradz nebst dem anliegenden Gebiete Wielun brandenburgisch, die heutige Provinz Westpreußen und das nördliche Posen schwedisch werden. Von Driesen in der Neumark zog die geplante schwedisch-brandenburgische Grenze fast gerade nach Osten. Das Bündnis war der Vorbote der künftigen polnischen Teilungen. Bereits der Große Kurfürst und seine Räte waren also davon überzeugt, daß der Erwerb polnischen Gebietes, und zwar weit über die Grenzen von 1815 hinaus, ein wichtiges Lebensbedürfnis des brandenburgisch-preußischen Staates sei. Freilich hätten die Hohenzollern diese Befriedigung sehr teuer erkauft. Sie waren seit dem Dreißigjährigen Kriege die natürlichen Nebenbuhler der Schweden und hätten diesen die wirtschaftlich wertvollsten und gerade die deutschen Bezirke zugeschanzt. Zur schwedischen Odermündung wäre ein schwedisches Weichseldelta gekommen, Hinterpommern auf zwei Seiten von Schweden eingeschlossen gewesen. Doch noch war Polen nicht so zerrüttet, um sich derart verstümmeln zu lassen, und Karl X. von Schweden besaß [30] viele mächtige Feinde, welche ihm keinen Aufschwung gönnten. Der Kurfürst sah sich veranlaßt, mit Polen sich zu vertragen und Schwedens Feind zu werden. Schließlich brachte der Friede von Oliva (1660) als einziges Kriegsergebnis die volle Souveränität Preußens ohne jeden Gebietszuwachs. Außerdem hatten seine Soldaten sich überraschend gut geschlagen und das brandenburgische Ansehen gehoben. Der Siegespreis entsprach also weder den brandenburgischen Erwartungen noch den Anstrengungen. Dieselbe schmerzliche Erfahrung erlebte der Kurfürst beim Frieden von St. Germain en Laye (1679). Damals hatte er den Schweden ganz Pommern, besonders Anklam, Demmin, Stettin, Stralsund, Greifswald und gemeinsam mit den Dänen auch die Insel Rügen, abgenommen. Durch Hollands Beispiel angeregt, wollte er seinen Lieblingswunsch verwirklichen, ähnlich wie Schweden im letzten halben Jahrhundert aus seinen deutschen Besitzungen die Kraft zur Begründung einer starken Ostseemacht schöpfen. Wie wenig national er dachte, bewies sein nach dem Frieden mit Frankreich abgeschlossenes Bündnis. Hierdurch hoffte er Versailles von Stockholm zu trennen und der französischen Krone im Kampfe gegen die Habsburger einen Ersatz für die bisherige französisch-schwedische Allianz zu bieten. Enge Bündnisse mit verschiedenen norddeutschen Fürsten, welche ebenfalls unter dem schwedischen Drucke seit 1648 litten, sollten Brandenburgs Stellung noch weiter stärken. Gestützt auf solche Rückhalte versprach sich der Kurfürst baldige neue und glücklichere Feindseligkeiten gegen die Schweden und deren endgültige Vertreibung aus ganz Pommern. Später hat sich das Scheitern solcher Zukunftspläne für Brandenburg-Preußen wie für Deutschland als Segen erwiesen. Der Kurfürst hätte seine Seemachtsstellung mit der Preisgabe wichtiger deutscher Bedürfnisse bezahlt, wäre bald mit niederländischen und englischen Interessen zusammengestoßen und dabei vielleicht gar einem ungleichen Kampfe ausgesetzt gewesen. Statt eines langsamen organischen Wachstums hätte der brandenburgisch-preußische Staat eine kurze Treibhausblüte erlebt. Wegen der Mißerfolge des Großen Kurfürsten faßte er zunächst in Deutschland selbst festere Wurzeln und gewann die Odermündungen erst, als seine deutsche Zukunft schon festgelegt war.
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