[Anm. d. Scriptorium:
eine detaillierte Karte
der deutschen Kolonien
finden Sie hier.] |
Der Weltkrieg in den Kolonien (Teil
5)
Der Heldenkampf um Tsingtau
Dr. Alex Haenicke
Aus Tagebüchern des Missionssuperintendenten
C. A. Voskamp, Berlin,
und Prof. Richard
Wilhelm, Missionar in Tsingtau, entnommen:
Es ist kein Wunder, daß sich zu Beginn des Weltkrieges unsere Feinde auf
das blühende deutsche Gemeinwesen stürzten; es ist, wie vieles
andere auch, kein Ruhm für sie, daß es ihnen mit Einsatz von
50 000 Mann gelang, 5000 zu überwältigen. Die Leidenszeit
der Stadt und das heldenmütige Verhalten der Truppen und der
zurückgebliebenen Zivilbevölkerung sollen Augenzeugen schildern:
aus ihren Berichten wird klar, daß das, was uns hier entrissen worden ist,
deutscher Boden war - nicht nur ein zufällig annektiertes fremdes
Gebiet. Wir können nur von ganzem Herzen hoffen, daß die vielen,
die Blut und Leben zu seiner Verteidigung gegeben haben, nicht umsonst geblutet
und gelitten haben!
21. September. - Es ist Montag morgen. Mit Br. Kunze und meinen
Hausgenossen, meiner Frau, meinen Söhnen Hans und Martin und der
Missionsschwester Strecker, habe ich das Lied gesungen: "O Durchbrecher aller
Bande!" Wie einem in dieser Zeit solch ein Lied so besonders verständlich
und köstlich wird! Einer meiner Freunde, der krank im Lazarette liegt, sagte
ganz richtig, die Psalmen Davids erscheinen einem in dieser Zeit des Harrens und
Wartens in einem tieferen Lichte der Erkenntnis.
Gestern war Sonntag. Mit den Meinen las ich eine köstliche Predigt des
Gen.-Sup. Braun von Matthäi, und meinen Chinesen predigte ich
über das falsche und das rechte Sorgen. Wir knieten nieder, und der
Chinese Mau sprach ein inniges Gebet voll demütiger
Sündenerkenntnis und gläubiger Zuversicht auf den Herrn, der allein
unser Gefängnis wenden kann. "Ja, es wird uns sein, als ob wir
träumen, wenn die Freiheit bricht herein." Wir fühlen es so deutlich,
wie der Herr in der Tat ein Schild ist allen, die Ihm trauen. Das war der Spruch
der Bibellosung an meinem Geburtstage, dem 18. September.
[305]
Japanische Belagerungsarbeiten vor
Tsingtau.
|
[297] Die Maschen des
japanischen Belagerungsnetzes ziehen sich enger um uns. Im Lauschangebirge,
das unsere schöne, deutsche Kolonie im Osten abschließt, ist es
schon zu wiederholten Zusammenstößen zwischen unseren
Patrouillen und dem japanischen Militär gekommen. Das
Mecklenburg-Haus, das herrliche Erholungsheim, ist zum Teil von den Unseren
zerstört und wurde dann von den Japanern beschossen. Das Gros der
japanischen Armee befindet sich noch auf dem Marsche. Die Truppen sind in
Lung ku und den Lauschanhäfen gelandet, aber die Wege sind durch
die wolkenbruchartigen Regengüsse so unpassierbar geworden, daß
die feindlichen Maschinengewehrabteilungen nur täglich fünf bis
sechs Kilometer weit vordringen können.
Die anfängliche Besorgnis vor einer Überrennung unserer
Verteidigungslinien durch überlegene japanische Kolonnen hat
kühleren Erwägungen Platz gemacht. Auf dem Meere sieht man die
Schatten der japanischen Linienschiffe und Kreuzer, und von Zeit zu Zeit
erscheint ein englisches Kriegsschiff, das wohl beobachten soll, welche
Fortschritte die Japaner gemacht haben. Japan hat sich anheischig gemacht, wie
verlautet, für die Erlassung der Zinsen der Anleihe Englands in der
Höhe von 50 Millionen Jen Tsingtau zu stürmen. Andere sagen,
Tsingtau solle ausgehungert werden. Ein zerstörtes
Tsingtau - und Deutschland würde den stürmenden Japanern
nur einen rauchenden Trümmerhaufen
hinterlassen - würde den Feinden nichts nützen. Was den
Japaner reizt, zu besitzen, ist das in den 16 Jahren mit unendlicher Mühe
und Fleiß geschaffene, mustergültige Kolonialanwesen, das
einzigartig in ganz Ostasien dasteht. Aber England will auch kein japanisches
Tsingtau haben, und Japan verlangt nicht darnach, als Preis seiner schweren Opfer
eine internationale Konzession wie Schanghai und Tientsin und Hankau entstehen
zu sehen. Japan will ganz Schantung beherrschen oder nur ein Faustpfand haben,
zum Umtausch gegen die ihm so nötige Kornkammer der
Fuh kien-Provinz. Es ist ein Rätsel, warum Japan so langsam und
mit Zögern die Belagerung Tsingtaus betreibt, so ungleich dem russischen
Kriege, wo es mit dem Ungestüm eines Tigers in den
Dschungeln - um sein eigenes Bild zu
gebrauchen - dem Gegner an die Kehle fuhr.
Unsere Soldaten - welche prachtvolle Stimmung herrscht doch unter unseren
kämpfenden Brüdern in der Front! - haben längst
erkannt, daß der Japaner ein schlechter Gewehrschütze ist. Seine
Stärke liegt im Angriff mit dem Bajonett, im Überwinden von
unglaublichen Hindernissen und in seiner Geschicklichkeit, Stellungen zu
schaffen für seine gute Artillerie bei Belagerungsarbeiten.
Schon werden kleine Heldenstückchen von unseren Leuten erzählt,
wie sie im Kugelregen der Feinde ruhig das gestürzte Pferd aufrichten und
satteln, dann die Patronen vor sich ausschütten und zehn bis fünfzehn
Gegner erledigen. Außen vor den Verteidigungslinien spielen sich
täglich solche Szenen ab. Aber auch dem Feinde muß man
Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er kämpft eben auch für seinen
Kaiser, für das größere Japan, für sein Buschido, seine
Ehre.
[298] Gestern fiel einer
unserer Offiziere, Lt. v. Riedesel, auch wurden zwei oder drei Leute
verwundet.
Der japanische Flieger, der aus seinem Zweidecker Bomben auf die Stadt warf,
war eine unangenehme Überraschung. Ich konnte nicht anders, ich
mußte den kühnen Mann bewundern, der in seinem Apparate so stolz
und sicher in schwindelnder Höhe einherfuhr. Eigene Gedanken steigen
einem auf, wenn man bedenkt, daß dieses Flugzeug nebst anderen
aus - Deutschland stammt, daß der Monteur derselben hier in unseren
Reihen als Unteroffizier dient.
21. September. - Die Meldungen über Räubereien der
japanischen Vortruppe mehren sich. Immer wieder wird berichtet, daß sie
Vieh, Vorräte und Wagenmaterial von den unglücklichen Bewohnern
requirieren, ohne je auch nur einen Pfennig zu bezahlen. Die Hühner auf
der Straße werden geschlachtet, und die Hunde werden gegessen. Die
Frauen werden vergewaltigt. Allerhand Greuel und Scheuel werden von den
Chinesen einem mitgeteilt. Ein alter Chinese sagte mir: "Es sind nicht die Japaner,
die solches tun, es sind meine eigenen Landsleute." All das Verbrechergesindel,
das in der Mandschurei unter dem Namen Hung hu tze seit dem
Boxeraufstand und schon früher die reichen Gegenden am Amur unsicher
macht, verwilderte Koreaner aus dem Grenzgebiete am Jalu, all die Thu fei,
d. h. Banditen, der nordchinesischen Provinzen, meuternde Soldaten, das
alles wälzt sich wie ein ekler Strom gegen die Kolonie heran, und gnade
uns Gott, wenn diese Horden über uns Herr werden! Von den Japanern
glaube ich fest, daß sie starke Manneszucht halten. Gestern hörte ich
eine richtige Bemerkung: man habe hier in Tsingtau und dem Schutzgebiete die
gefangenen Räuber und Mordbrenner - und die Kolonie war vor der
Okkupierung ein wahres Höllennest dieses
Gesindels - nicht nach Gebühr bestraft, sondern sie mit leichten und
schweren Freiheitsstrafen bedacht, ganz im Geiste unserer "humanen" Zeit, und
nun kehren diese Banditen, die vielfach aus dem Zuchthause in Litsun entflohen
sind, zurück, um die reiche Kolonie zu plündern. Bei dem
Oberrichter soll schon einer dieser Kerle nachts eingebrochen sein. Wie oft
warnten uns die besseren Kreise der Chinesen, daß, wenn an diesem
Gesindel die Gerechtigkeit nicht erfüllt würde, die Götter
strafend einschreiten würden! "Unsere Gerichte waren brutal", sagten sie,
"aber eure Rechtsprechung ist schwach."
22. September. - Die Abschließung Tsingtaus in dem gewaltigen
Halbkreise vom Lauschanhafen bis über Kiautschou hinaus ins Perlgebirge
durch feindliche Kavalleriepatrouillen ist vollendet. Wir sind abgeschlossen gegen
die Außenwelt: kein Brief, keine Nachricht über die Kriege und Siege
in Europa kommt durch. Heute geht als erster Briefbote einer meiner Christen,
Zui hüo sin, über Hung schi jiä,
King dschi, Nan kiu nach Weihsien.
Mein Knecht Kai juen, ein tapferer Mensch, kehrte aus Tsimo zurück,
nachdem er bis an die Brust durch Schlamm und Wasser gewatet war. Die Wege
im Innern sind infolge der furchtbaren Regengüsse ein weites Schlammeer.
Der Bote brachte einen Brief nach Tsimo. Die Geschwister Scholz sind aus dem
[299] Missionshause in das
Jamen, d. h. Gerichtsgebäude, geflohen und wohnen nun in der
Kreisschule, die ihnen der Mandarin zur Verfügung gestellt hat. Frau
Scholz hätte am Tische gesessen und geweint. Gott behüte die
Lieben, die in schwerer Bedrängnis sind! In Gefahr des Lebens schweben
sie wohl nicht, doch werden sie Mangel an Lebensmitteln haben. Auch die Stadt
Kiautschou wird von den Feinden verschlossen gehalten, und über das
Schicksal des Br. Müller ist uns nichts bekannt. Frau Kunze ist mit
ihren Kindern sowie mit Schwester Voget nach Ching chu fu geeilt,
wo sie in dem Hause des englischen Missionars Burt Aufnahme gefunden haben.
Burt schrieb mir gleich zu Beginn des Krieges einen lieben Brief. Wenn unsere
Völker auch im Kriege liegen, wir bleiben Freunde! Die amerikanischen
Freunde in Schanghai haben, wie mir Lobenstine, der Sekretär des
evangelischen Missionshauses, zu dem ich auch gehöre, im Auftrage des
Bischofs Roots mitteilte, Geld gesammelt für die deutschen Missionen und
eine Summe von 2000 Dollar nach dem Süden gesandt.
Der japanische Flieger ist noch nicht von unseren Kugeln heruntergeholt. Er
erscheint täglich und wirft seine Bomben über die Stadt. Er versucht,
die Werft und die wenigen Schiffe zu zerstören. Vom Fenster aus
beobachte ich täglich den Kampf in den Lüften. Nur wenn das Surren
zu dicht über uns hörbar wird, zieht man sich zurück. Unsere
Schrapnellgeschosse platzen zu hoch oder zu kurz. Auch der Flieger kann bei der
rasenden Fahrt seines Flugzeuges schlecht das Ziel treffen, das er sich aus seiner
schwindelnden Höhe ersehen hat.
23. September. - Die Führer des japanischen Expeditionskorps
sind Jamanachi, Horiuchi und Jamada. Tiefen Eindruck soll nach japanischen
Meldungen die Haltung des deutschen Kaisers gemacht haben, der das japanische
Ultimatum gar nicht beantwortet haben soll. In Japan ist man seit dem Frieden
von Schimonoseki tief enttäuscht, ja zornig über Deutschlands
Haltung im Russischen Kriege. Was ging uns der ganze Handel an?
24. September. - Bei einem Patrouillenzusammenstoß auf dem
Wege nach Anlokou ist der Reservist M. von der 3. Kompanie durch einen
Säbelhieb verwundet worden. Der Führer der Patrouille erhielt
außerdem einen leichten Säbelhieb. Es gelang ihm, den Angreifer,
einen japanischen Offizier, mit einem Schuß niederzustrecken. Der
Schwerverwundete schleppte sich einige Schritte weiter, zog seine
Browningpistole hervor und erschoß sich. Das Ehrgefühl der
japanischen Offiziere ist stark. Lebend wollen sie nicht in die Gewalt des Feindes
fallen.
Der japanische Flieger hat heute früh wieder 7 Bomben geworfen, und zwar
5 ins Hafenbecken, 2 in den Hof der Bismarckkaserne. Schaden ist nirgends
angerichtet worden. Ich war gerade beim Postdirektor, als der erschütternde
Schlag der Bombe unsere Fenster erzittern machte.
25. September. - Unsere Truppen haben am 23. die bis zum Kletterpaß vorgedrungene feindliche Abteilung in einstündigem,
leichtem Feuergefecht zurückgeworfen. Eine unserer Kanonenkugeln
schlug gleich ins japanische Offizierszelt ein. Man fand nachher Blutlachen. In
den Tornistern der japanischen Soldaten [300] fand man
Ansichtspostkarten, die ein hiesiger japanischer Photograph Takahaschi
angefertigt hatte. Sie trugen den Vermerk für den japanischen Soldaten:
Meine neue Adresse lautet.... Also man hoffte doch auf eine leichte Eroberung
Tsingtaus. - In japanischen Zeitungen war die freundliche Aufforderung an
die Deutschen zu lesen, doch unnützes Blutvergießen zu vermeiden
und den Platz kampflos zu verlassen. Freundliche Behandlung würde
zugesichert. Wir sind alle der Ansicht, die großen Siege unserer Truppen in
Frankreich und Rußland werden schließlich doch auch für
unser Schicksal hier in Ostasien entscheidend sein.
9 Bomben wurden geworfen, aber ohne Schaden. Gott ist unsere Zuversicht und
Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns betroffen
haben.
Den verwundeten Reservisten M. besuchte ich. Auch meine beiden Söhne
liegen im Lazarett. Achim, der Lebensmittel in die Vorposten zu fahren hatte, war
tagelang nicht aus seinen nassen Kleidern gekommen und hatte sich eine
Entzündung zugezogen. Gerhard leidet an einer schweren Bronchitis, die
aber Gott sei Dank vorübergeht. Meine lieben Jungen sind Feuer und
Flamme. Gott wolle sie bald wiederherstellen! Zwei unserer Soldaten wurden im
Flußbette des Lizunflusses, der durch die reißenden Bergwasser
haushoch anschwoll, mit ihrem Automobil weggerissen. Einen Soldaten
tröstete ich, der die ganze Nacht bis an den Hals im Wasser gestanden
hatte. Halb Lizun ist von den Wasserfluten zerstört. Die Menschen fanden
in unserer Missionskirche Zuflucht. Unsere Soldaten haben den bedrängten
Einwohnern tatkräftige Hilfe zuteil werden
lassen. - Zwei unserer Soldaten werden vermißt.
26. September. - Ich besuche täglich die Lazarette. Im
Seemannshaus, das auch für Verwundete eingerichtet ist, ist unser
Missionar Schramm als Pfleger tätig. Am Abend kamen einige Freunde zur
Gebetstunde. Wir teilen uns die wenigen Nachrichten mit, die wir erfahren haben,
und falten unsere Hände, um des Herrn Gnade und Güte zu preisen.
Lebensmittel sind noch genügend vorhanden, und wir sind bis heute immer
satt geworden.
Die Nächte sind unheimlich dunkel. Wie mit augenlosen Höhlen
starrt einen eine solche Nacht an. Alle Lichter müssen ausgelöscht
werden, um dem Feinde kein Ziel zu bieten. "Ich liege und schlafe im Frieden",
müssen wir rühmen, "denn du Herr machst, daß ich sicher
wohne."
Nach Zeitungsmeldungen aus Tokio ist Japan dem gemeinsamen Beschluß
von England, Frankreich und Rußland, nur zusammen Frieden zu
schließen, beigetreten. Auch wenn Tsingtau vorher genommen werden
sollte, würde Japan erst nach Beendigung des europäischen Krieges
mit Deutschland Frieden schließen. Ein Chinese meinte, Japan ist der
Schüler Deutschlands, und dieser Krieg ist ein Kampf eines Schülers
mit seinem Lehrer, eines Sohnes mit seinen Eltern. Das strafen die
Götter.
20. Oktober. - Gestern wehte ein heftiger Sturm, der sich in der Nacht
steigerte und nun nach alter Regel etwa drei Tage braucht, bis er abgeflaut ist. Der
bekannte Taifunvers, der von den Seeleuten an der Ostasiatischen Küste
zitiert wird, lautet für diese Monate: "September, September you will
remember, Oc- [301] tober, October all is
over", aber in diesem Jahre stimmt er nicht. Eine Depression nach der
anderen, die aus dem Süden, aus dem Taifunnest, den Philippinen, kommt,
ein Taifun nach dem anderen braust heran und kündet, wie die Chinesen
meinen, einen harten Winter an. Schon gestern herrschte eine schneidende
Kälte, als der Nordwind einsetzte.
Wie wird das alles noch werden? Mit Br. Kunze zusammen wohne ich in einem
Kellerraum der Mädchenschule, während in einem Nachbarkeller
meine Frau mit Hans, Martin und Schwester Strecker haust. Es fehlt uns an nichts,
die Chinesenbetten sind wohl etwas hart, aber doch ist alles so nett eingerichtet
und heimisch gemacht. Auch hat es uns bis heute an keinem Guten gemangelt,
und gestern sah ich, wie Schwester Frieda von einem chinesischen
Gemüsehändler noch junge Schnittbohnen kaufen konnte. 36
Pfennige das Pfund, wie ich im Vorbeigehen hörte. Man merkt ja, wie uns
durch die Blockade
der Brotkorb höher gehängt wird, manches ist
nicht mehr vorhanden, vieles ist um das Doppelte im Preise gestiegen, aber doch
macht King siu, mein alter Knecht, der mit Kai juän, dem
Stationskuli, in der Not treu bei mir geblieben ist, immer noch etwas ausfindig auf
dem chinesischen Markte.
Ich liege des Nachts viel wach, und der Geist grübelt "Hüter, ist die
Nacht schier hin?" und betet. Ja, was kann man anderes tun in dieser
schrecklichen Zeit, als sich ein Trostwort der Heiligen Schrift vor Augen halten
und beten. Alle Bilder des Tages und der vergangenen kurzen und doch so langen
Zeit ziehen an einem vorüber, die man nicht vergessen wird. Wir leben hier
ja nicht in einer umwallten Stadt mit den gewaltigen Tortürmen der
chinesischen Städte und den Mauerzinnen und Schießscharten
für die Schützen, sondern wie offen liegt sie dem Feinde vor Augen,
der vielleicht in eben diesem Augenblicke von den Höhen des kleinen
Perlberges, des Kuschan oder des
Prinz-Heinrich-Berges hinabspäht in unsere Straßen und durch die
Fenster in die Häuser. Von der Anhöhe am Walderseehügel
[305]
Japanische Schützengräben vor
Tsingtau.
|
herunter kommt ein Trupp Engländer. Sie gehören zu der Tientsiner
Besatzung, und mit dem Fernglas kann man die weißen Tropenhelme
erkennen. Sie scheinen hinauszuziehen, um die Schützengräben
fertigzustellen. Da, von der Batterie 12 hart bei Tai dung schen auf
telefonische Anfrage die Antwort: "Feuer!", und krachend schlägt es vor,
hinter, neben der Truppe von etwa 40 Mann ein. Eine
Rauch- und Staubwolke steigt auf, der Schuß hat gesessen. Man sieht
Menschen am Boden liegen, und aus dem Ravin kriechen nach einiger Zeit
vorsichtig zwei Soldaten. "Heute ist Sonntag, lassen wir sie leben", sagt grimmig
der Kanonier. Ein Trupp Japaner zieht sich vor dem Feuer in ein einsames, kleines
Chinesenhaus zurück. Wieder kracht der Schuß. Er scheint
fehlgegangen zu sein. Man sieht den Aufschlag nicht. Da steigt aus dem
Häuslein eine Rauchsäule lotrecht auf, und dann geht die eine
Mauerwand auseinander. Mit fürchterlicher Genauigkeit ist das
Geschoß dahin gegangen, wohin es gehen sollte. Ist es im Innern des Hauses
krepiert, hat es die Feinde erschlagen? Eine lange Zeit vergeht, und kein
Menschenkind späht verstohlen hinaus auf die tod- [302] bringenden
Höhen. Man hört keinen Menschenlaut in diesem grauenvollen
Ringen, und nur, wenn eine feindliche Kugel mit ihrem unheimlichen
Hiß-Hiß in die Brust eines unserer Soldaten fährt, stöhnt
eine Menschenbrust auf, und mit einem wilden Schrei fällt schwer ein
Körper zu Boden. Ich muß immer an die alten Römer denken,
die im Zirkus an der Brüstung standen und hinabblickten in die
blutgetränkte Arena, nur daß sich einem das Herz
zusammenkrampft.
[306]
Eine 28-cm-Haubitze
nach der Sprengung durch die Deutschen bei Tsingtau.
|
Unablässig donnern die großen Geschosse gegen die
Eisenbetonwandungen der Iltishuk-Batterie. Sobald das Feuer auf den fernen
Schiffen aufzischt, springen unsere Artilleristen in die bombensicheren
Stände und zählen langsam 1, 2, 3, 4, 5, 6 und, wie das Krachen des
Jüngsten Tages, kommt es auf die Batterie nieder. Sofort stehen sie aber
wieder an ihren Haubitzenmörsern, noch rasch einen Blick in den Spiegel,
ob die Kimming recht steht, wieder zurück, eine Feuersäule
schlägt auf wie aus einem Glutofen: Hurra, Hurra, und ausgelassen wie die
Knaben, denen ein guter Wurf gelungen, springen unsere
pulvergeschwärzten Kanoniere auf. Drüben auf dem
Kriegskoloß steigt eine schwere Feuer- und Rauchwolke auf, und an der
Seite des Schiffes fahren zischend Eisenstücke in die See. Man sieht, wie
die Masse ins Schwanken gerät und sich etwas zur Seite neigt. Es dauert
etwas länger, bis wieder aus seinen Stückpforten der Feuerstrahl
übers Meer fährt, der Schuß hat gesessen, und drüben
liegen zerschmetterte Menschenglieder! Und dann steigen blitzschnell andere
Bilder auf, wie ich sie fast jede Nacht sehe: Die grauenvolle Finsternis wird
punktartig erleuchtet von unseren aufschlagenden Geschossen, die auf die dunklen
Höhen vor uns gesetzt werden in blitzähnlicher, furchtbarer Schrift
des Todes. Und die chinesischen Dörfer dahinter sind schwelende
Trümmerhaufen, und die armen Frauen und Kinder irren in der Nacht und
im Gebirge umher und verkriechen sich frierend und zitternd vor dem kalten
Regen in Löcher und Klüfte und wimmern und schreien.
Bisher sind angeblich insgesamt von den Japanern rund 41 000 Mann in
Schantung gelandet worden, dazu einige hundert Chinesen und Koreaner. Die
japanischen Soldaten stammen hauptsächlich aus der Gegend von Sasebo,
Moji und Nagasaki. Vor Tsingtau sollen nur 35 000 Mann stehen;
außerdem noch etwa 1000 Engländer. Die Verluste der Japaner in den
bisherigen Kämpfen werden auf 3000 angegeben. Für die Zwecke ihrer Belagerungsartillerie haben die Japaner von Wangkolschuang nach Liutung
und von dort weiter nach Tunglitsun eine doppelgleisige Schmalspurbahn gebaut,
auf der etwa 100 kleine, von Kulis gezogene Wagen verkehren.
21. Oktober. - Das japanische Geschwader hat, wie heute amtlich mitgeteilt wurde, nach Tokio gemeldet, der von unserem Torpedoboot S 90
in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag mit 250 Mann versenkte kleine
Kreuzer sei auf eine Mine gelaufen und untergegangen. Es ist auch interessant,
daß dasselbe Geschwader an seine Behörde berichtete, S 90 sei
von japanischen Kanonenbooten vernichtet worden. S 90 wurde nach dem
Torpedoangriff von den eigenen Leuten in die Luft gesprengt. Trotzdem
hält sich, wie auch heute amtlich gemeldet [303] wurde, an der ganzen
Küste das Gerücht, unser kleines
Torpedoboot - was für prächtige Männer sind die Leute
der S 90, mancher von ihnen ist Mitglied des christlichen Soldatenheims,
das unter der Leitung meines lieben Freundes, des Feldwebels L.
steht - sei durchgebrochen, so daß nun die ganze Schiffahrt von
Schanghai stocke.
Die anfängliche Furcht vor den Japanern, die doch zu Beginn jeden von uns
beschlichen hat, der unglaublichen Todesverachtung der japanischen Regimenter
wegen, die sich vor Port Arthur reihenweise hätten niederschießen
lassen, bis das Fort erstürmt und das Sonnenbanner gehißt war, ist
unter unseren Soldaten wie ein nächtlicher Spuk verflogen. Man hat die
Stärke, aber die auch durch nichts mehr zu verdeckende Schwäche
des japanischen Kriegers voll erkannt. Chinesische
Späher - und das Polizeiamt bezahlt gut und hat sehr
zuverlässige Leute unter ihnen, deren Angaben durch unseren
ausgezeichneten Fliegeroffizier P. bis ins einzelne bestätigt
wurden - hätten berichtet, die Japaner hätten ihren gefallenen
Kameraden eine Art von Denkmal errichtet und die Worte darauf geschrieben:
"Mögen die Götter verhüten, daß wir jemals wieder
gegen die furchtbaren Deutschen Krieg führen!" Das ist wohl nur ein guter
Soldatenwitz, aber so viel ist klar, daß unter den Feinden vor der deutschen,
mit tödlicher Sicherheit arbeitenden Artillerie ein wahres Grauen herrscht.
Das ganze Feld des von unseren Geschützen bestrichenen Gebietes ist
kartenmäßig in Quadrate von 500 m Länge und Breite
eingeteilt. Ich sah heute solche Meldung des Fliegers Gunther
Plüschow, der klar die feindlichen Stellungen angab, z. B. E24
oder F49 eine Batterie Feldgeschütze oder schwere Geschütze.
Unsere Kanonen richten sich haarscharf auf diese Felder ein und beschießen
sie systematisch mit je 50 m Abstand im Quadrat, so daß alle
Aufstellungen, wie nachher festgestellt ist, auf diesem Raume zerstört sind.
Der Krieg ist hart, aber der Gott, von dem David rühmt, er lehrt mich einen
eisernen Bogen spannen, lehrt uns jetzt, den eisernen Bogen für unsere
Geschosse spannen. Unsere Sache ist eine gerechte Sache, und Deutschland
kämpft gegen Lüge, Nichtswürdigkeit, Ungerechtigkeit und
schändliche Untertretung von Menschenrechten. Ich bin Optimist, weil ich
an den lebendigen Gott glaube. Der Gott, der in den Befreiungskriegen unseren
Vätern wie im Feuer sich offenbart hat, sitzt noch heute waltend über
uns und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Heute morgen tauchten wieder in schwindelnder Ätherhöhe die
Flieger auf, der japanische mit seinem prachtvoll arbeitenden, schier
geräuschlosen Apparat und Plüschows Taube. Die Taube
schwebte wie ein dunkler Punkt noch fast 1000 m über ihrem Gegner
und zog ruhig und sicher ihre Rekognoszierungsbahn dahin. Der Japaner gab
daher die Verfolgung auf und flog seewärts.
Letzter Kampf und ehrenvolle Übergabe am
7. November 1914
Nachmittags noch einmal in der Stadt. Auch das Gouvernement und das Gericht
sind durch schwere Geschütze von See aus stark beschädigt
worden.
[304] Abends um 7 Uhr
beginnt der letzte Kampf. Die ganze Nacht hört man furchtbar heftiges
Feuern, ein dauerndes Hämmern der Granaten, das Rattern der
Maschinengewehre. Man sieht das Aufblitzen der explodierenden Geschosse, das
Leuchten der Scheinwerfer und den Widerschein all der Aufregung am dunklen
Nachthimmel.
Der Sturm verlief, wie mir erzählt wurde, so, daß das J.-W. 3 und 4
besonders stark unter Feuer genommen wurden. Zuerst findet dann ein Sturm auf
J.-W. 4 statt. Er wird jedoch zurückgeschlagen, und ins Werk
eingedrungene Japaner werden mit Handgranaten vertrieben. Dagegen haben sich
in J.-W. 3 die Posten in die Unterstände zurückgezogen. Ohne eine
Pause in der Beschießung eintreten zu lassen, umstellen die Japaner das
Werk. Nachdem das Werk genommen war, entwickelte sich das übrige, wie
es mußte. Der Iltisberg wird genommen. Die Bemannung der Batterie Aye
wird von hinten mit Spaten niedergehauen. Dann werden die Werke 2 und 4 von
hinten her angegriffen. Um 5½ Uhr müssen sie sich ergeben.
Um 6 Uhr 23 Minuten wird auf dem Observatorium die weiße
Flagge gehißt.
Um 7 Uhr gehe ich aufs Polizeiamt, um mich nach dem Stand der Dinge zu
erkundigen. Im Schein der aufgehenden Sonne sieht man auf dem Signalberg die
weiße Flagge, ebenso wie auf dem Observatorium. Ein Wachtmeister
nimmt ein Glas und sieht genauer hin, dann kommt er und sagt: "Es ist die
japanische Flagge." Dem alten Hellmer kommen die Tränen, als ich ihm
adieu sage. Die beiden Japaner, die gefangen waren und nun freigelassen werden,
grinsen vergnügt. Nun ist ihre Zeit gekommen. Nachdem ich die
Prostituierten, die vom Polizeiamt dem Hospital überwiesen waren,
entlassen hatte, fahre ich mit Schi De Tschen zusammen im Auto
nach dem Faberhospital. Auf der Höhe begegnen wir den ersten
japanischen Soldaten. Der eine ist von feuchtem Blut am Kragen bespritzt. Fast
jeder hat auf seinem Gewehr eine japanische Flagge aufgepflanzt. Sie sind mit
Schmutz überzogen. Sie halten unser Auto an. Wir müssen
aussteigen. Ich werde auf Waffen untersucht, kann aber bis zum Hospital
vordringen, wo ich aus dem Haus der Schwester einen japanischen Soldaten mit
einer Bierflasche herauskommen sehe. Die Tür zur Vorratskammer war
erbrochen. Von der Werft her hört man die Bansairufe der Truppen, die
dorthin vorgedrungen waren. Da wir nicht weitergelassen werden, kehre ich um;
denn ohne Dolmetscher ist nichts zu machen. Mit dem Dolmetscher Kiu
zusammen fahre ich zunächst zu unserem Wohnhaus. Vor dem Westtor
begegnet mir ein japanischer Leutnant, der deutsch spricht und sich sofort nach
"Herr Meyer" erkundigt. Er hätte ihn gerne gefangen. Er läßt
uns passieren. Wir sehen drunten den einen Schuppen des Proviantamts aus
verkohlten Trümmern rauchend. Er war offenbar während der Nacht
in Brand geschossen worden. Drüben am Wasserberg stehen noch die
Geschütze der Feldbatterie, eine japanische Flagge dahinter. Ums Haus
streichen japanische Soldaten, die zu essen verlangen. Ich gebe ihnen, was an
Vorrat da ist. Eine andere Patrouille war durchs Küchenfenster
einge- [305-306=Fotos] [307]
stiegen gewesen, hatte aus dem vorderen Schrank einen Schleier und den Hut
meiner Frau in die Küche geschleppt, das Bettzeug von meinem Bett
weggenommen, verschiedene Schubladen aufgezogen, war dann aber wieder
gegangen und hatte das Bettzeug auch noch wieder weggeworfen.
Als die Soldaten gehen, kehren wir zum Auto zurück. Schi De Tschen
bleibt im Haus. Das Auto war inzwischen von einem Japaner besetzt worden, der
es requirieren wollte. Nach vieler Mühe gelingt es, ihn zu bewegen, es
wieder freizugeben. Wir fahren nun nach Taitungtschen, um zu sehen, ob dort
Verwundete sind. Unterwegs sehen wir Wu Tschuan Schen und den
[306]
Japanische Train vor Tsingtau.
|
Heilgehilfen Li am Wege stehen unter japanischer Bewachung. Wir müssen
die beiden zunächst stehenlassen, da sie unter keinen Umständen
freigegeben werden, und fahren nach Taitungtschen weiter. Die Häuser sind
zerschossen und rauchgeschwärzt; lange Züge von Japanern,
Artillerie und Train, bewegen sich durch die Straßen. Wir erkundigen uns
nach Verwundeten und geben den Leuten die Adresse des Hospitals. In
größter Eile müssen wir zurück, da jeden Augenblick
Gefahr droht, daß unser Auto konfisziert wird und wir gefangen werden.
Auf dem Rückwege begegnen wir einem Transport von Gefangenen, die
unter japanischer Bewachung, doch frei gehen dürfen. Plötzlich
springt einer aufs Auto und sagt: "Ich will nur ein Stück weit mitfahren."
Mit Mühe veranlasse ich ihn, nachdem ich das Auto hatte halten lassen,
daß er keine Torheiten macht; denn schon hatte der eine Japaner auf uns
angelegt, um die Flucht der Gefangenen zu hindern. In Tapautau angekommen,
erklärt der Chauffeur, er müsse geschwind zu seinem Herrn, er werde
aber sofort wiederkommen. Er verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Nun galt es, zu Fuß nochmal zurückzugehen, um die beiden
Gefangenen zu befreien, und zwar allein, da Kiu andere Geschäfte hat. Zum
Glück gelingt es, sie loszubekommen, so daß wir abends alle
wohlbehalten wieder beisammen sind.
Die Verwundeten von Taitungtschen kommen allerdings nicht, da im Lauf des
Tages zwischen Tsingtau und Taitungtschen eine Sperre errichtet wird. Der
Verkehr ist vollkommen unterbrochen.
Die Wohnung der Schwester wird im Lauf des Tages durch Inder
geplündert, beschädigt und verunreinigt.
Bei der Einnahme von Tsingtau sind Fälle von Plünderung
verschiedentlich vorgekommen. Der Grund war, daß die Truppen
unverhofft in die Stadt eingedrungen waren, ehe man sie zurückhalten
konnte, da alles zu plötzlich und unvorbereitet kam. Im ganzen konnte man
jedoch beobachten, daß der Wille zur Ordnung auf japanischer Seite da war,
auch wenn die vielen Erschießungen, von denen erzählt wurde, mehr
nur Legenden gewesen sein sollten.
Nachts bricht in der Bäckerei Nottbusch Feuer aus, das jedoch noch von der
deutschen Feuerwehr gelöscht wurde.
Sonntag, frühmorgens, kommt der Altertümerhändler Ma und
fragt, wo Prinz Gung sei. Unter den eingedrungenen Japanern seien auch
chinesische Revolutionäre, die sich an ihm für all die Unbilden
rächen wollten, die sie erlitten. [308] Wenn er seinen
Aufenthaltsort erführe, so könne er den Prinzen, wenn er eine
Summe Geld zahle, schützen. Dieser allzu grobe Versuch der Erpressung
wird von mir zurückgewiesen. Ich sage ihm den Aufenthaltsort des Prinzen
nicht. Erst später, als der Prinz von dem japanischen General Kamio
Schutzwachen bekommen hat, gebe ich seinen Aufenthalt dem Manne kund. Nun
interessiert er sich aber nicht mehr dafür. Man könne jetzt ganz ruhig
für den Prinzen sein. Merkwürdig, wie diese Kreaturen aus ihren
Winkeln hervorkriechen, sowie sie Unsicherheit der Verhältnisse
wittern.
Umzug in die alte Wohnung, die ich ungeplündert vorfinde. Die Diener von
Dschou und Siau stellen sich ein, um zu danken für den Schutz. Die Leute
sind ganz überrascht, daß die Japaner keine Chinesen töten.
Man hatte sich auf Schlimmes gefaßt gemacht.
Es ist ein sehr ruhiger Tag. Auf der Reede fischen japanische Boote nach Minen.
Doch sind sie dabei zu eilig, bringen alle Minen durcheinander und verlieren
infolgedessen noch mehrere Fahrzeuge. Auch an Land werden Minen gesprengt,
wobei noch schwere Verluste vorkommen.
Im ganzen sollen die Japaner etwa 17 000 Mann verloren haben. Auf deutscher
Seite fielen im ganzen 150 und verwundet wurden 180. Die japanischen Soldaten,
die zum Teil auf den Straßen biwakiert hatten, werden aus der Stadt
zurückgezogen. Gegen die Plünderung soll energisch vorgegangen
worden sein, wenn auch nicht so energisch, wie die Gerüchte besagen, nach
denen 70 Soldaten wegen Plünderung erschossen sein sollen.
Die Übergabeverhandlungen dauern fort. Übermorgen sollen die
Gefangenen weggebracht werden. Die in den Werken Gefangenen werden direkt
nach Fuschanso und Schatsekou gebracht, ohne vorher noch einmal zurück
zu können.
Abends im Klub. Gedrückte Stimmung. Das Ende ist ohne jede
Erhabenheit, man fühlt es, daß jetzt eine Zeit der Kleinlichkeiten
anfängt. "Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt und
erhöht" (heutige Losung). Genau drei Monate lang hatte die kleine tapfere
deutsche Schar gegen eine dreißigfache Übermacht die
Festung Tsingtau gehalten, die 16 Jahre unter deutscher Flagge gestanden hatte.
Um die wehrlosen Frauen und Kinder zu schützen, übergab der
deutsche Gouverneur Meyer-Waldeck die völlig zerschossene Stellung, als alle Verteidigungsmittel erschöpft waren, treu seiner Losung vom 18. August 1914: "Einstehe zur Pflichterfüllung bis zum
äußersten".
78 000 Mann hatten die Japaner gegen die kleine deutsche Schar aufgeboten. 160
moderne Geschütze hatten in den letzten Tagen mehr als 43 000
Schuß auf die Festung gefeuert.
Der Weltkrieg in den
Kolonien
wurde zu einem großen Heldenlied der Tapferkeit und
Treue der deutschen Verteidiger und ihrer farbigen Soldaten. Im Rahmen dieses
Buches konnten Einzelheiten nicht gegeben werden, wie sie in Wort und Bild
dargestellt sind in vielen [309] Werken. Fast
Übermenschliches ist von allen geleistet worden. Auch Hans
Grimm hat in dem deutschen Schicksalsbuch Volk ohne Raum der
Heimatliebe deutscher Farmer und deutscher Männer und Frauen von
Südwest ein unvergängliches Denkmal errichtet. Unvergessen soll
die Schar derer sein, die im Bewußtsein litten und starben:
Einst wird kommen der
Tag,
da die Flagge des Deutschen Reiches wieder wehen wird auf dem heißen
Sand von Afrika.
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