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Wien 1683

Wien! - Name und Begriff einer Stadt, deren Geschichte nichts von Gemütlichkeit, nichts von weinseliger Heurigenstimmung, nur wenig von der Liebenswürdigkeit einer heute versunkenen Kaiserstadt, aber viel von Kampf und harter Notzeit berichtet.

Denn was eine in ihrem Kern morsche und auf trügerische Äußerlichkeiten gestellte Zeit gerade in den Epochen des deutschen Erwachens nach den Freiheitskriegen dem äußeren Bilde dieser Stadt andichtete, hat trotz der ihre Schönheit und die angebliche Leichtlebigkeit ihrer Bewohner besingenden Lieder niemals das wahre Gesicht dieser Stadt gezeichnet. Das Wien der Walzer, das Wien des glänzenden, die Augen auswischenden Parketts ist nicht das Wien der deutschen Geschichte der Wiener und auch nicht das Wien, dem bitterste Notzeiten im härtesten Gegensatz zum angeblichen Frohsinn seiner Bewohner so oft tiefe und unauslöschliche Runen eingeprägt haben.

Wer Wien nur als die Stadt der Lieder, als den Ort die Sinne betörender und berauschender Feste und herrlicher Bauten besingt, der vergißt, daß es das gleiche Wien ist, dessen Boden zur Zeit, als ein Strauß und Lanner die Welt mit ihren unsterblichen Klängen bezwangen, das Blut seiner deutschen Söhne trank, die fremde Soldaten [24] des österreichischen Staates vor ihre Gewehrläufe brachten. Und wer, nicht bloß gefangen von den Zeugen einer gewiß stolzen und für den Ablauf der deutschen Geschichte bis zur Erfüllung der deutschen Sehnsucht durch Adolf Hitler vom Lauf der Zeit bedingten Kaiserzeit, das Gesicht jenes Wien betrachtet, das sich in den Arbeitsstätten und im Bilde des Alltagsdaseins abzeichnet, der erkennt, wie groß die Kluft ist, die das deutsche Volk Wiens von jenen Verkündern eines sich nicht auf den Kern seines deutschen Wesens besinnenden Wienertums trennt, die ein Teil einer auf Ablenkung hinwirkenden sogenannten führenden Schicht dieser Stadt vor und nach dem Weltkrieg beschert hat.

Wiens Wesen und sein Volk waren und sind nie anders als deutsch. Und als deutsche Stadt hat Wien seine Berufung als Hauptstadt der Ostmark empfangen. In Erfüllung dieser Aufgabe hat Wien viel öfters gekämpft und gelitten, als Lieder gesungen und zu Walzerklängen getanzt. Hell leuchtet seine Bewährung als Bollwerk deutscher Widerstandskraft aus der Geschichte ostmarkdeutscher Wehrhaftigkeit bis in unsere Zeit. Schon 1529 hatte es einmal dem Osmanensturm hartnäckig widerstanden und als sich nun die in der deutschen Vergangenheit gefährlichste Bedrohung der abendländischen Kultur im Südosten zusammenballte, tritt nicht allein das soldatische Wien auf die Wälle der Stadt, sondern das Volk sammelt sich abwehrbereit auf den Schanzen, und als der Türke dann mit Tausenden gegen dieses äußerste Bollwerk unseres deutschen Vaterlandes anrennt, sind es die jungen und alten Männer aller Berufe und Stände, die neben den Soldaten mit ihren Leibern die Pforte Deutschlands vor dem Einbruch des Asiatentums retten.

Aber nicht nur der Abwehr des asiatischen Einbruchs gilt dieser Kampf der deutschen Stadt. Unselig, stets im Bunde mit den Mächten, die die Vernichtung des abendländischen Kulturlebens planen, wiegelt Frankreich, vom Machthunger nach deutschen Ländern geplagt, alle dem Deutschtum feindlichen Mächte gegen die Reichsgewalt auf. Auch Frankreichs gordischer Knoten, der die Schlinge um den Hals des verhaßten deutschen Wesens vollends zuziehen soll, wird Anno 1683 durch den Heldenmut der Wiener zerschlagen. Und aus dieser Bewährung als Bollwerk gegen die Feinde im Osten und Westen heraus lebt das Wien des Jahres 1683 unsterblich in der deutschen Soldatengeschichte fort.

Zehn Tage nach der Schlacht von St. Gotthard wurde zu Eisenburg ein übereilter, das geflossene deutsche Soldatenblut in keiner Weise sühnender Friede geschlossen. Der Grund hierzu war in der Weigerung des Befehlshabers des französischen Hilfskorps zu suchen, der die von [25] Montecuccoli geforderte Verfolgung des Feindes bis zu dessen Vernichtung abgelehnt hatte.

So stand die türkische Übermacht trotz des erhaltenen Schlages noch immer drohend und die deutsche Ostmark gefährdend im Donauraum da. Wohl war es das erstemal gelungen, die Türken in offener Feldschlacht zu schlagen, aber die immer wieder auftretende Uneinigkeit unter den Generalen ließ die Befürchtung offen, daß dieser Zustand eines Tages die Ursache für einen nicht allzu teuer erkauften Sieg des Großwesirs werden konnte. Der Friede, der nun zustande kam, glich eher einer Niederlage als einem Siege des Kaisers. Die Festungen Neuhäusel und Großwardein blieben verloren, der Kaiser mußte wieder ein "Ehrengeschenk" von 200 000 Gulden bezahlen, und auch in der siebenbürgischen Frage blieben den Türken Vorrechte und Lehensansprüche erhalten. Dafür wurde dem Kaiser gestattet, auf dem Donaustrom eine freie Handelsschiffahrt zu errichten und - was ebenfalls mangels der Mittel und der dazugehörigen Waffen nur dem Werte eines Zugeständnisses auf bloßem Pergament gleichkam - der Kaiser erhielt auch das Recht einer Schutzmacht der Christenheit im Orient zuerkannt, was bisher lediglich das Vorrecht Frankreichs gewesen war.

Dieses Frankreich und sein allerchristlichster König waren auch die Ursache, daß es von kaiserlicher Seite so rasch zur Zustimmung zu dem in diesem Frieden von Eisenburg gleichzeitig vereinbarten zwanzigjährigen Waffenstillstand kam. So hob sich im Westen des Reiches doch bereits die Bedrohung der deutschen Grenze durch den Raubkönig ab. Vorerst galten die Vorbereitungen Ludwigs allerdings nur dem Angriff auf das spanische Belgien, die dann in der Folge eine Vereinbarung zwischen dem Kaiser und dem Franzosenkönig zur spanischen Erbfolge mit sich brachten. Da trat aber die Gegnerschaft Frankreichs gegen das Reich auch in der Unterstützung aller derjenigen offen zutage, die eine Stärkung des deutschen Einflusses im Südostraume mit scheelen Augen sahen. Frankreich schürte in Ungarn. Dort hatten die Bestimmungen des Friedens von Eisenburg ebenfalls eine starke Unzufriedenheit mit sich gebracht. Der kroatische Banus Zrinyi und sein Bruder waren über die Hintansetzung ihrer Verdienste und die sich daraus ergebende Nichterfüllung ihrer persönlichen Wünsche aufgebracht, und da sie nun unter den übrigen ungarischen Magnaten auch Gleichgesinnte fanden, die sogar offen nach der Herrschaft im Lande strebten, kam es zu einer Verschwörung eines Teiles des Adels, der sich unter Einbeziehung des Siebenbürgers Franz Rakoczy an den französischen König wandte und diesem ein Angebot zur Annahme der Stephanskrone machte. Als die Verschworenen aber auch noch an den [26] Großherrn in Stambul ein Ansuchen um Unterstützung richteten, wurde dem Kaiser von dem alternden Köprülü im geheimen von diesen Vorgängen Mitteilung gemacht, der dadurch auch erfuhr, daß vor allem der französische Gesandte in Wien bei all diesen Treibereien seine Hände im Spiel gehabt hatte. Ein furchtbares Strafgericht war die Folge. Die Führer der Verschwörung wurden verhaftet und ihnen der Prozeß gemacht.

Wie sich jetzt aber auch die Kirche in die Niederschlagung der Verschwörung mischte und ihr Einfluß in dem Versuch der Regierung, nun auch Ungarn, so wie einst Böhmen unter Ferdinand II., zu einer vorrechtslosen Provinz zu machen, deutlich zutage trat, brach in ganz Ungarn ein erbitterter Aufstand los. Unter der Losung, für die bedrohte protestantische Lehre kämpfen zu müssen, stand bald das gesamte kaiserliche Ungarn in Flammen. Vergeblich versuchten die Generale Leopolds I. den Aufstand niederzuschlagen. Ein mächtigerer Gegner ließ der habsburgischen Regierung nicht freie Hand. Denn es war Frankreich, das jetzt wiederum offen gegen das Reich auftrat. Ludwig XIV. hatte kaum seinen Devolutionskrieg von 1667/68 gegen das spanische Belgien beendet und darüber wichtige Plätze in Flandern in seine Hände gebracht, da fiel er schon wieder die Niederlande mit einem zweiten Raubkriege an. Während in Ungarn noch der Kuruzzenaufstand tobte, brandete bereits vom Westen her der Franzosensturm gegen die äußersten Vorwerke des Reiches heran. Nicht nur um die spanisch-habsburgischen Besitzungen zu halten, sondern weil eine Wegnahme der Niederlande eine schwere Gefahr für Deutschland bedeutete, entschloß sich der Kaiser jetzt auch zum Kampfe gegen Frankreich. Montecuccoli wurde Condé und Turenne entgegengeschickt und nun standen wieder Kaiserliche und Brandenburger mit Reichstruppen gegen die Franzosen zusammen. Mit wechselvollem Glück wurde auf beiden Seiten gekämpft. Montecuccoli schlug auch dieses Mal, zeitweise durch eine lästige Uneinigkeit der verbündeten Heerführer gehemmt, mit dem getreuen nun bald achtzigjährigen Spork und dem Herzog Carl von Lothringen seine Schlachten. Bis es ihm in der Ortenau, nahe dem Rhein endlich gelang, Turenne zu besiegen. Doch bald darauf legte er den Oberbefehl endgültig nieder, und während der Herzog von Lothringen nun den Krieg weiterführte, gewann im Osten wieder eine neue Gefahr drohende Gewalt. Der Wahlkönig Sobieski von Polen hatte den jungen Siebenbürgischen Fürsten Tököly nicht nur als König von Ungarn, sondern auch als kriegführende Macht anerkannt. Desgleichen wurde Tököly auch von Frankreich als souveräner Herrscher bestätigt. Aber auch vom Bosporus drohte die Gefahr. Dort lenkte die Geschichte des Staates seit Köprülüs Tode ein neuer Mann, der Großwesir [27] Kara Mustapha. Ehrgeizig, gewillt, nach dem Vorbild des Großen Soliman die Grenzen des türkischen Reiches wieder bis an die Mauern Wiens vorzutragen, rüstete er alle Kräfte des Staates zu einem neuen Zug gegen das Abendland. Dieser neuerlichen Bedrohung suchte der Kaiser nun durch seinen Beitritt zum Frieden von Nymwegen zu begegnen. Um die reichsgewichtige Festung Philippsburg zu retten, trat er die Feste Freiburg im Breisgau an Frankreich ab. Darüber erbittert, verständigte sich jetzt aber der Große Kurfürst, der während dieses Krieges die große Schlacht bei Fehrbellin (1675) gegen die mit den Franzosen verbündeten Schweden geschlagen hatte, mit Ludwig XIV. und schloß den Frieden von St. Germain, der ihn in der Folge durch viele Jahre an Frankreich band.

Nun begann ein beispielloses Ringen der Kräfte. Um freie Hand gegen die sich immer unersättlicher zeigende französische Raublust zu gewinnen, die in der Einsetzung der berüchtigten Reunionskammern ihren beredten Ausdruck fand, wurde mit den Ungarn und Siebenbürgen auf dem Ödenburger Reichstag Frieden gemacht. Ja, auch mit den Türken selbst versuchte der Kaiser zu einer Erneuerung des zwanzigjährigen Waffenstillstandes zu gelangen. Aber die Einkreisung Deutschlands war bereits zwischen Paris und Stambul abgemacht. Bald nachdem die Abgesandten des Kaiser unverrichteterdinge vom Goldenen Horn zurückkamen, brach Ludwig XIV. im Elsaß ein und raubte am 30. September 1681 Straßburg. Diese unglückliche Stadt hatte noch kurz zuvor das kaiserliche Angebot, eine Besatzung von sechstausend Mann in ihre Mauern aufzunehmen, ausgeschlagen. Nun fiel sie als Beute einer durch keinen Widerstand aufgehaltenen Macht, während dem Reichsoberhaupt durch das immer bedrohlichere Auftreten der Türken die Hände gebunden waren. Schon rief der Pascha von Ofen den wortbrüchigen und bereits wieder durch französisches Geld bestochenen Tököly neuerdings zum König von Ungarn aus, schon ließ der Rebell Geldmünzen, die sein und des Franzosenkönigs Bildnis trugen, prägen, da entschloß sich der Kaiser endlich nach vielem und beharrlichen Drängen seiner Ratgeber zum Kampf gegen die türkische Großmacht.

Leopold war, ganz gegen seine sonstige Art, die sich gerne Entscheidungen, die von den Waffen ausgetragen werden sollte, entzog, im Widerstand gegen Frankreich zu einem beharrlichen Sachverwalter des Reichsgedankens geworden. Er, der seine Jugend im trüben Licht jesuitisch-spanischer Erziehungsmethoden verbrachte und dem jeder Sinn für die soldatischen Tugenden mangelte, wurde durch den Machthunger Frankreichs zwangsläufig zum ersten jener drei habsburgischen Kaiser, [28] dessen Regierungszeit vom Waffenlärm eines reichsgeeinten Abwehrwillens gegen die europäischen Friedensstörer widerhallte. Auch Kaiser Leopold hatte nach dem Überfall auf Straßburg durchaus erkannt, daß nur ein einheitlicher, von allen Teilen des Reiches getragener Wille die unausgesetzte Bedrohung durch Frankreich zu bannen vermochte. Und in diesem Sinne bahnte auch die Wiener Politik ein großes europäisches Bündnis aller von Frankreich bedrohten Staaten außerhalb der Reichsgrenzen an. Leopold wollte sich nicht von dem Gedanken lösen, der eine bewaffnete Abrechnung mit Frankreich voraussah. Da zwang ihn der Friedensbruch Tökölys und die ungeschminkte Herausforderung der Türken, seinen Ratgebern und dem Drängen des Papstes, der einen Kreuzzug gegen den Halbmond predigte, nachzugeben. Was nun begann, war ein atemberaubendes Gegenspiel diplomatischer Kräfte. Polen, das ein Spielball in den Händen über bedeutende Bestechungsgelder verfügender Gesandten war, wurde in letzter Minute mit einem kleinen Vorsprung vor Frankreich in der Darreichung von "Handsalben" in der Höhe von 60 000 Gulden für die Idee des abendländischen Feldzuges gegen die Osmanengefahr gewonnen. Diesen für die kaiserlichen Kassen ungewöhnlichen Aufwand an Mitteln hatte Wien bedeutenden Subsidien des Papstes und auch Spaniens, ja selbst Venedigs, Genuas, Florenzs und Savoyens zu danken. Nun wurde mit der Interessierung der Reichsfürsten für die Durchführung des Feldzuges begonnen. Bayern, Sachsen, der schwäbische und fränkische Kreis wurden gewonnen und die kaiserliche Streitmacht durch die Neuaufstellung von 14 Infanterieregimentern, 8 Kürassier- und 5 Dragonerregimenter, 2 Kroatenregimenter und eines kleinen Ingenieurkorps auf einen erhöhten Stand gebracht.

Bald zeigte sich auch, wie notwendig die getroffenen Maßnahmen waren. Kara Mustapha, der durch eine geheime Mitteilung Ludwigs XIV. davon in Kenntnis gesetzt worden war, daß er von Frankreich keinerlei Feindseligkeiten zu befürchten habe, vorausgesetzt, daß sein Angriff nicht auch Venedig und Polen gelten würde, ließ am 2. Januar 1683 die Roßschweife als Zeichen der Kriegserklärung der Pforte an Österreich auf den Adrianopler Serail ausstecken. Während sich nun ein gewaltiges Türkenheer durch Serbien nach Ungarn heranzuwälzen begann, zog sich auch aus dem Reich bereits ein großer Teil der aufgerufenen Hilfsvölker zur Unterstützung des Kaisers zusammen. Am 6. Mai 1683 wurde zu Kitsee eine Revue Kaiser Leopolds abgehalten, wobei der Nachfolger des 1681 verstorbenen Montecuccoli, Herzog Carl von Lothringen, als "absoluter Comandant der Armee" ungefähr 33 000 Mann dem Kaiser vorführte. Bei der Heerschau be- [29] fehligte außerdem noch der Markgraf Ludwig von Baden, dann der Herzog von Lauenburg, die Generale Graf Leslie, Fürst Croy, Aenaes Caprara, Rabatta und vor allem auch der baldige Verteidiger Wien, Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg, als Kommandant von 72 Geschützen.

Außer den deutschen Völkern nahmen aber auch noch 7 - 8000 Ungarn und Husaren an dieser Heerschau teil, die mit ihren überaus kostbaren Waffen, Kleidungen, Edelsteinen, den gestickten Pferderüstungen und den über die Schultern gehängten Tiger- und Bärenfellen allgemeines Staunen hervorriefen. Dieses Kontingent stellte das vom Ödenburger Reichstag ausgeschriebene und von dem Teil der königstreuen Ungarn gestellte Korps der magyarischen "Insurrektion" dar, das dem Ruf des Kaisers gefolgt war.

Inzwischen begann auch der polnische Johann Sobieski ein Heer von rund 26 000 Mann in der Krakauer Gegend zusammenzuziehen. Aber weil mit dem Eintreffen dieses Verbündeten vor Mitte des Sommers nicht zu rechnen war, ergab sich für Lothringen die schwierige Aufgabe, mit seinen bisher versammelten Truppen dem Vormarsch der türkischen Übermacht zu begegnen. Ein in Kitsee abgehaltener Kriegsrat beschloß, nicht erst das Eintreffen der noch zu erwartenden übrigen Hilfstruppen aus dem Reich und der Polen abzuwarten, sondern Lothringen die Aufgabe zu übertragen, durch einen Angriff auf die Festungen Gran und Neuhäusel den Gegner nach Möglichkeit noch auf ungarischem Boden aufzuhalten. Doch Kara Mustapha, der am Tage der Kitseer Heerschau schon bereits über Belgrad hinausgezogen war, hatte durch die Verrätereien des vor dem Sultan in Esseg zum König von Ungarn erhobenen Tököly und durch die Berichte des heimlich in Wien gewesenen türkischen Oberingenieurs Achmed Bey genaue Kunde von dem unzureichenden Zustand der Wiener Befestigungsanlagen erhalten. Vom Sultan, der in Serbien "zur Jagd" zurückgeblieben war, zum "Seraskier" ernannt, ließ der Großwesir sich bei der Anlage des Feldzugsplanes von durchaus richtigen strategischen Gesichtspunkten leiten. Ihm lag daran, sich nicht durch langwierige Belagerungen kaiserlicher fester Plätze wie Komorn, Raab und Leopoldstadt aufhalten zu lassen, sondern, noch ehe die Verstärkungen des kaiserlichen Heeres aus Deutschland und Polen herangerückt waren, seine ganze ungeheure Macht gegen das Herz des Feindes, Wien, zu entfalten. Mit rund zweihunderttausend Kämpfern, denen noch tausende als Troß beigegeben waren, wälzte er sich, durch seine tartarischen Reiter Verheerung und Vernichtung vor sich hertragend, unbeirrt gegen Wien heran. So mußte Lothringen notgedrungen die anbefohlenen und bereits begonnenen Belagerungen von Gran und Neuhäusel aufgeben. Eilig zog [30] er sich zum Schutze der niederösterreichischen Grenze zurück und hatte schließlich Mühe, sich einer Umzingelung zu entwinden, die durch ein von Kara Mustapha zur Täuschung ausgeführtes Manöver einer Belagerung von Raab für Lothringen beinahe zum Verhängnis geworden war. Doch glücklicherweise ließ sich der Großwesir tatsächlich länger, als er wohl selber beabsichtigt hatte, bei Raab binden. Durch den Aufenthalt, den die Berennung der kleinen Feste erforderte, gingen ihm zwei wertvolle Wochen verloren. Diese Zeit genügte, um den als Verteidiger Wiens bestimmten General Graf Rüdiger von Starhemberg die Befestigungsanlagen der Stadt in möglichster Eile in einen verteidigungsmäßigen Zustand bringen zu lassen. Denn hier war vieles seit langem vernachlässigt.

Koloman von Liebenberg, Bürgermeister von Wien.
[36]      Koloman von Liebenberg,
Bürgermeister von Wien.

Die bedeutendsten Führer in den Türkenkriegen Zeitgenössischer Stich.
(Historischer Bilderdienst, Berlin)
So ausreichend die Anlagen auf den ersten Blick hin erscheinen mochten, so war doch seit Jahren nichts für ihre Instandhaltung und ihre Verbesserung geschehen. Mit Hilfe des berühmten sächsischen Ingenieurs Johannes Rimpler und des Schlesiers Elias Kühn, unterstützt von dem deutschesten der Wiener Bürgermeister, Liebenberg, ging nun Starhemberg daran, in höchster Eile das Notwendigste ausbauen zu lassen. So wurden von geflüchteten Bauern 30 000 Palisaden errichtet, verfallene Häuser niedergerissen und aus ihren Steinen neue Steinwerke aufgeführt. Bauern, Bürger, Handwerker, Liebenberg an der Spitze, führten frische Erdwälle auf, Geschützstände wurden angelegt, und als mit Hilfe der beschlagnahmten Pferde endlich über dreihundert Geschütze auf den Wällen aufgefahren waren, konnte Starhemberg wirklich auf ein Werk blicken, das dank seiner eigenen Tatkraft, vor allem aber durch den bewiesenen Opfermut des Volkes die Möglichkeit bot, einer längeren Belagerung standzuhalten.

Die Gefahr dieser Belagerung zeichnete sich bereits mit all ihren Schrecken aus der Nähe der in Flammen aufgehenden niederösterreichischen Landschaft ab. Am 7. Juli war es bei Petronell zu einem unglücklichen Gefecht der Kavallerie Lothringens mit den Vortruppen Kara Mustaphas gekommen. Bei diesem Kampf war auch der ältere Bruder Prinz Eugens von Savoyen, der selbst erst mit dem späteren Entsatzheer nach Österreich kam, der Obrist Ludwig von Savoyen auf dem Felde der Ehre geblieben. Dieser Sieg, den Kara Mustapha weit über die Bedeutung des Reitertreffens aufzubauschen verstand, gab ihm den willkommenen Vorwand, nunmehr endgültig die Belagerung von Raab aufzuheben und zur Verfolgung des geschlagenen Feindes gegen Wien aufzubrechen. Raubend und plündernd zog er unter Zurücklassung eines nur kleinen Belagerungskorps von Raab gegen die Donaustadt ab. Auch der Kaiser hatte bereits am 7. Juli Wien mit [31] seiner Familie in Richtung Linz und Passau verlassen. Da warf Lothringen noch in letzter Minute 10 000 Mann, größtenteils Kürassiere und Dragoner, in die bedrohte Stadt. Und nun vermochte das Eintreffen der kaiserlichen Regimenter auch die gedrückte Stimmung der Bevölkerung zu heben. Hatten doch Gerüchte bereits von einer völligen Vernichtung des kaiserlichen Heeres bei Petronell berichtet. Als man nun Lothringens selber gewahr wurde, der seine Truppen persönlich durch Wien führte, ging es beim Anblick der wohlerhaltenen Regimenter wie ein Aufatmen durch die geängstigte Menge. Lothringen setzte dann selber noch über die Donauinsel auf das jenseitige Ufer des Flusses, brach die Donaubrücke hinter sich ab und blieb auch weiterhin beinahe während der ganzen Belagerung Wiens zur Beunruhigung des Feindes auf dem Marchfelde stehen.

Jetzt kam die große Zeit deutscher Bewährung und unvergänglichen Heldenmutes heran. Die gesamte männliche Bevölkerung wurde von Starhemberg zu den Waffen gerufen. Acht Kompanien, ein Fähnlein "ledige Bursche" und die von den Bäckern, Fleischhauern und Wirten gestellten Freikompanien wurden bewaffnet. Der Rector magnificus führte als Obrist drei Kompanien studentischer Jugend und neben den 16 000 Mann kaiserlicher Besatzung, von denen die Regimenter Starhemberg, Beck, Scharffenberg, Kaiserstein und Württemberg die berühmtesten waren, wurde die Verteidigung der Stadt noch drei Kompanien Stadt-Guardia übertragen. An Führern seien nur Rüdiger Starhemberg, sein Neffe Guido, die Obristen Dupigny, Ferdinand Karl von Württemberg, Sereni, Börner, Heister und vor allem der Bürgermeister Liebenberg und auch der streitbare Bischof von Wiener Neustadt, Kolonitsch, genannt. Den Vorsitz über die Zivilverwaltung hatte der zweiundsiebzigjährige Feldzeugmeister Graf Kaspar Capliers übernommen, während sich das Ingenieurwesen unter der Leitung Rimplers und Kühns sowie des sich während der späteren Belagerung besonders bewährenden Venetianers Camucci und den durch die Verteidigung des Burgravelins berühmt gewordenen kaiserlichen Hauptmann Hafner in besten Händen befand.

Deutsche Männer aus allen Gauen des Reiches erwarteten so den Ansturm auf die Mauern der ehrwürdigen Stadt. Aber auch Ausländer, vielfach die besten militärischen Köpfe ihrer Zeit, hatten sich zur Abwehr der Osmanengefahr in kaiserliche Dienste und somit in die Dienste des Reiches begeben. Von Stunde zu Stunde wuchs die Gefahr. Sorgenerfüllt, aber dennoch entschlossen, bis zum letzten zu kämpfen, starrten Tausende von Augenpaaren täglich, stündlich nach dem Südosten, wo allnächtlich heller Feuerschein über der nahen Ebene stand. [32] Wien und sein deutsches Volk waren dazu bereit, für Deutschland in die Bresche zu springen. Ihren blutigsten Opfergang seit ihrer Gründung erwartete die Hauptstadt der Ostmark.

Am 13. Juli 1683 verdunkelten ungeheure Rauchmassen über einem lodernden Flammenmeer jede Sicht von den Wällen der Stadt. Starhemberg hat, um dem Feind die Möglichkeit einer gedeckten Annäherung gegen die Wälle zu nehmen, die Vorstädte im weiten Bogen von einem Ufer des Donaukanals bis zum anderen in Brand stecken lassen. Bestürzung, Paniken und Gerüchte durcheilen die mit Flüchtlingen, Militär und Zurückgebliebenen zum Bersten vollgestopften Straßen. Schon wollen einige die ersten Heerhaufen auf den Höhen des Wiener Berges gesehen haben, andere wieder berichten von grauenhaften Plünderungen vorgepreschter türkischer Reiter in der St.-Ulrich-Vorstadt, die der noch als letzter auf dem Durchmarsch durch Wien befindliche Markgraf von Baden mit Savoyendragonern zurückgejagt hat; kurzum das Stadtkommando hat alle Hände voll zu tun, um zu befehlen, zu beschwichtigen und, wo es nottut, mit unerbittlicher Schärfe Ordnung zu machen, damit die Abwicklung des Dienstes an den militärischen Objekten keine Verzögerung erleidet.

Da meldet der Beobachtungsposten auf dem Stephansturm tatsächlich das Auftauchen dichter Heeresmassen auf den Höhen des Wiener Berges. Nun besteht kein Zweifel mehr, Kara Mustaphas Heer ist heran, und während noch draußen die Vorstädte brennen und ganze Straßenzüge, Kirchen, Paläste und Klöster in Rauch und Trümmer versinken, wälzt sich ein endloser Heerwurm von den Höhen des Wiener Berges herab. Unbekümmert um das Flammenmeer beginnen die Türken sofort mit der Errichtung eines ungeheuren Lagers. Tausende arbeiten, während die anderen noch weitermarschieren, an der Errichtung der Zelte, kleinere Abteilungen wagen sich trotz des Brandes schon dicht an die Wälle heran und wie nun die ersten Musketenschüsse von den Basteien erdröhnen, gellt vom Stephansturm aus das erste Alarmläuten der "Angstern" über die Gassen der Stadt. Der Türke ist da, nun wehr' dich auf Leben und Tod, deutsche Wienerstadt!

Zeitgenössischer Plan der Belagerung Wiens.
[18]      Zeitgenössischer Plan der Belagerung Wiens.
Nach einem Stich von C. Decker in Amsterdam. (Historischer Bilderdienst, Berlin)

Schon am Morgen des 15. Juli donnern zum erstenmal die Geschütze. Mit unheimlicher Eile hat der Großwesir die ersten Batterien auffahren lassen. Während der große Sultan 1529 seine hauptsächlichsten Angriffe gegen den unteren Wienfluß gerichtet hat, läßt die Ansammlung zahlreicher türkischer Sturmtruppen vor dem Burgravelin [33] und Schottenbastei auf eine Konzentrierung seiner Angriffe gegen diese Befestigungen schließen. Auch Laufgräben legen die Türken unter der sachkundigen Anleitung eines entsprungenen Kapuzinermönches, ihres berühmtesten Ingenieurs Achmed Bey und französischer Fachleute an, da gerät aus unerklärlicher Ursache noch vor dem Beginn des türkischen Sturmangriffs das große Schottenstift dicht an der Bastei und neben dem kaiserlichen Waffenarsenal, in dem 18 000 Pulverfässer lagern, in Brand. Nur das entschlossene Eingreifen des Neffen des Stadtkommandanten, des Hauptmanns Guido Starhemberg, rettet Wien schon am ersten Tage der Belagerung vor einer fürchterlichen Gefahr.

Doch nun beginnt der Kampf aufzuleben. Unter der persönlichen Leitung des Großwesirs rennen der Janitscharenaga und der Pascha von Damaskus gegen den Burgravelin und die Löbelbastei an. - Und in den darauffolgenden Tagen werden auch die Biber- und Gonzagabastei von ihnen berannt. Unaufhörlich führen hinter den stürmenden Janitscharen die Artilleriemannschaften inzwischen neue Batteriestände auf. Laufgräben, ein wahres Labyrinth von Kreuz- und Quergängen werden geschaffen und obwohl der Großwesir in absichtlichen Täuschungsmanövern versucht, auch bei Nußdorf und bei Erdberg durch Batterien und Pfahlbrücken die Aufmerksamkeit der Verteidiger vom Burgravelin anzulenken, gelingt es ihm nicht, Starhembergs Kräfte zu verzetteln. Der wagt bereits am 19. Juli einen Ausfall und wirft die in den Laufgräben nahe herangekommenen Türken blutig in ihre Ausgangsstellungen vor dem Burgravelin zurück.

Über diese ersten Mißerfolge ergrimmt, überläßt der Großwesir Wien seinen Batterien. Ein furchtbarer Feuerorkan brandet über die Bastionen der in sommerlicher Gluthitze daliegenden Stadt. Geschosse heulen über Bastionen und Wälle, erfüllten die dahinterliegenden Gassen und Häuser mit Schrecken und mehr und mehr werden die Verteidiger gezwungen, die am meisten bedrohten Gebäude räumen zu lassen. Doch Starhemberg weiß überall Rat. Dort, wo ein türkisches Geschoß ein Haus zum Einsturz gebracht hat, ordnet er sofort die Fortschaffung des Baumaterials zur Vermauerung aufgerissener Breschen in den Stadtbefestigungen an. Auch die auf den Wällen postierte eigene Artillerie läßt er durchaus nicht erfolglos aufspielen. Im Gegenteil, bald werden die Verteidiger gewahr, daß die Österreicher, in guter Vorbedeutung späterer Taten, die besseren Artilleristen haben. Sehr bald muß der Großwesir erkennen, daß er mit seinen auch hier wieder von französischen Ingenieuren geleiteten Batterien gegen den Stückobristen Christian von Börner und den Obristleutnant Gschwind von Pöckstein nicht aufkommen kann. Darum läßt er um so eifriger Minenstollen und [34] Laufgräben
Graf Rüdiger von Starhemberg, Stadtkommandant von
Wien.
[36]      Graf Rüdiger von Starhemberg,
Stadtkommandant von Wien.

Die bedeutendsten Führer in den Türkenkriegen Zeitgenössischer Stich.
(Historischer Bilderdienst, Berlin)
graben. Wohl wehren die Verteidiger diese unterirdischen Wühlmäuse mit Musketenfeuer und Handgranaten ab, aber sie können es doch nicht verhindern, daß sich bald vor und vielleicht schon unterhalb der äußersten Befestigungslinien ein unheimliches Gewirr von Stollen und Gräben hinzieht. Dennoch vermag auch dieses Heranwühlen der Türken nicht ihre Zuversicht vermindern. Als Kara Mustapha am 20. Juli nach vorhergegangenen mörderischen Feuer einen Waffenstillstand zur Beerdigung der Toten verlangt, läßt ihm Starhemberg kaltschnäuzig sagen: "Man habe lauter gesunde Leute in der Stadt und daher keine Toten zu begraben, sollte nur redlich fechten, seiner Seite wolle man sich bis auf den letzten Blutstropfen defendieren!"

Doch Kara Mustapha wartet nicht mit der Rache. Am Abend des 23. Juli erschüttert eine fürchterliche Detonation den Westteil der Stadt. Die Janitscharen haben an der Kontereskarpe der Löbel- und Burgbastei zwei Minen auffliegen lassen und nun stürzen Gemäuer, Erde, Palisadenpfähle und Eisen auf die Besatzung herab. Mit Musketen, Piken, ja mit Sensen werfen sich die halbverschütteten Verteidiger den sofort anstürmenden Janitscharen entgegen und während jetzt in den Trümmern, zwischen hochziehenden Rauchschwaden und brennendem Schanzwerk die Verletzten schreien und wimmern, spielt sich im knietiefen Schutt und über aufgebrochenen Mauerbreschen ein fürchterliches Würgen von Mann zu Mann ab. Mit brennenden Pechkränzen, Piken, Säbeln und Dolchen kommen die Janitscharen durch die vom Pulverrauch überzogenen Breschen gesprungen, heiseres Allahgeschrei erfüllt die Luft, schon scheint es, als würde sich die hereinflutende Welle über die Kontereskarpe ergießen, da stemmen sich die vom Regiment Starhemberg mit ihren Leibern zwischen die Breschen und halten, wo die Waffe nicht ausreicht, mit Palisadenstücken, Steinen und Fäusten durch Stunden hindurch drei nacheinander vorbrechende türkische Anstürme auf.

Ein Sturmangriff von Janitscharen und türkischen
Hilfstruppen auf die Burgbastei wird von Studenten und Handwerkern
abgeschlagen.
[35]      Ein Sturmangriff von Janitscharen und türkischen Hilfstruppen auf die Burgbastei
wird von Studenten und Handwerkern abgeschlagen.

Sturm der Janitscharen auf die Burgbastei. (Historia-Photo, Berlin)

Als der Morgen graut ist die Kraft des feindlichen Angriffs gebrochen, aber für die Verteidiger gibt es kein Ausruhen; sofort beginnen sie, die entstandenen Breschen im schärfsten feindlichen Feuer neuerdings zuzumauern.

Diese erste Minensprengung bringt aber für die Besatzung eine neue Aufgabe mit sich. Um der Gefahr neuen Stollenvortreibens entgegenwirken zu können, muß Starhemberg darangehen, selber ein Minenkorps auf die Beine zu bringen. In Wien anwesende Lothringer und Niederländer bieten sich für diese Aufgabe an. Doch Starhemberg erkennt bald, daß hier der schon erwähnte Venetianer Camucci der richtige Mann am Platze ist. Zusammen mit dem Hauptmann Hafner der Stadtguardia legt er verschiedentlich Gegenminen an. Um das dafür erfor- [35-36=Illustrationen] [37] derliche Material zu erhalten und die Verwendung des kostbaren Schießpulvers zu ersparen, wird eine eigene Pulverstampfe angelegt, und so gelingt es Hafner auch wirklich, am 2. August durch eine großangelegte Sprengung die Stollenarbeiten des Gegners an der Burgbastei erheblich zu stören. Wie rund zweihundertfünfunddreißig Jahre später ihre Nachkommen am Col di Lana, Cimone und Monte Pasubio lernen die kaiserlichen Soldaten jetzt Tag um Tag und Nacht um Nacht all das nervenzerrüttende Abhorchen, Ablauern und Abriegeln des Unterhöhltwerdens kennen. Tag für Tag donnern an den Bastionen die Minen, schauerlich erhellen die Brände die kampfdurchtosten Stunden der Nacht. Fieberhaft wird in den Gewölben, in Kellern und in alten unterirdischen Gängen unter den Bastionen gearbeitet. Gegenstollen entstehen, und wenn einmal die Gegner in einem der aufeinanderstoßenden Minengänge plötzlich aufeinanderprallen, entspinnt sich in der Tiefe der Erde ein fürchterlicher, grausamer Kampf. Dabei rennt der Türke oben vor den Bastionen immer wieder hartnäckig an. Schon hat er sich in seinen Laufgräben, die mit Bohlen, Sandsäcken und hochgeschichteter Erde gegen das Feuer von den Wällen geschützt sind, so nahe herangearbeitet, daß sich die Janitscharen auch während der Kampfpausen dicht an den bedrohten Werken aufhalten können. Dabei läßt auch das "erschröckliche und grausame Schießen" seiner Batterien keinen Augenblick nach. Längst bestehen die Bastionen des Burgravelins und der Löbelbastei nur mehr aus rauchenden, zerborstenen Trümmern. Da setzt der Großwesir am 3. August zu einem wütenden Generalsturm an. Stundenlang brüllt die ganze Feuerfront seiner Batterien, viermal holen sich die Janitscharen vor der Löbelbastei und dem Burgravelin blutige Köpfe, doch endlich, erst nachdem Starhemberg sein bedrohtes Geschütz vom Cavalier der Löbelbastei zurückziehen muß, gelingt es dem Gegner, in einen vorspringenden Winkel des Grabens am Burgravelin einzudringen. Und auch hier ist es wieder das Regiment Starhemberg, das sich mit einem Heldenmut ohnegleichen wehrt. Aber die Besatzung ist an dieser Stelle schon sehr zu einem kleinen Häuflein zusammengeschmolzen. Dennoch weicht sie nicht von dem übrigen Teil des Burgravelins. Acht Tage hält sie dort noch mit unerschütterlicher Standhaftigkeit aus. Und wie der Gegner am 12. August durch eine neue gewaltige Mine den Burgravelin fast völlig zerstört, bleiben die Letzten trotzdem noch auf einem Rest von Trümmern und Schutthaufen stehen und beginnen nun durch die Errichtung von Palisaden und Wehren das noch in ihrem Besitz verbleibende Stück des Ravelins gegen den türkischen Gegner abzuriegeln. Erst nach neunundzwanzig Tagen läßt Starhemberg die völlig vernichteten Außenwerke, Glacis [38] und Kontereskarpe am Burgravelin räumen, aber der in Schutt geschossene "Zauberhaufen", wie die Janitscharen den Ravelin nennen, bleibt zu mehr als zwei Dritteln nach wie vor in der Gewalt der Verteidiger.

Dafür meldet sich jetzt im Innern der belagerten Stadt ein neuer, um so gefährlicherer Gegner. Während sich draußen vor den Wällen die Leichen der gefallenen Türken zu Tausenden häufen und ein durch die Sommerwärme ekelerregender Leichengeruch für die Janitscharen in den Laufgräben eine schreckliche Belastung bedeutet, beginnen auch im Innern der Stadt Krankheiten, Not und Teuerung umzugehen. Außerdem fängt die Ruhr verheerend unter der Besatzung und Bürgerschaft zu wüten an. Auch Starhemberg wirft sie aufs Krankenlager, und nun kann dieser Mann nur mit Aufbietung aller Kräfte seinen Pflichten als Stadtkommandant genügen. Mit eiserner Energie bannt er das furchtbare Fieber, und weil er sich nicht auf den Füßen halten kann, läßt er sich an die bedrohten Punkte tragen. Unermüdlich ist er mit Anweisungen, Befehlen und Ratschlägen tätig. Aber wenn es not tut, versteht er es auch mit beinahe grausamer Härte zu strafen. Selber schon einmal verwundet, ist er trotz seiner Krankheit allen ein leuchtendes Vorbild. Kein Tag vergeht, ohne daß er nicht die Inspizierung auf allen Wällen vornimmt, und so ist es in erster Linie sein persönliches Beispiel, das manchen, der da und dort schon langsam zu verzagen beginnt, wieder zum Mutfassen zwingt.

Da überbringt der geheime Bote von Starhembergs bedeutendstem Kampfgefährten, dem klugen und umsichtigen Kaplirs, der Kaufmann Franz Georg Kolschitzky, am 17. August die Nachricht, der Herzog von Lothringen habe Tököly bei Preßburg geschlagen, und in der Gegend von Krems würde sich ein gewaltiges Entsatzheer sammeln.

Diese Kunde vermag den Widerstandswillen aller mit neuer Kraft zu entfachen. Unermüdlich wird in den Stunden, da der Türkensturm aussetzt, an der Ausbesserung der Werke gearbeitet. So läßt Starhemberg neue Flankenbatterien errichten; Öl, Pech und die neuen Kielmannseggschen Handgranaten werden an die gefährdeten Punkte gebracht, auch Ausfälle werden wieder gewagt, und wie der Türke nun, um die Aufmerksamkeit der Verteidiger von dem Burgravelin und der Löbelbastei abzuwenden, einen unerwarteten Sturm auf das Neutor vollführt, werfen ihn die dort postierten Studenten im erbitterten Handgemenge zurück.

Um so wütender beginnen die Türken jetzt wieder gegen das letzte Stück des noch besetzten Burgravelins vorzudringen. Am 16. August gelingt es ihnen, auf der eroberten Kontereskarpe eine Breschbatterie [39] aufzuführen. Nun schlägt Kartätsche um Kartätsche in die verzweifelt ausharrende Besatzung, die die letzten Meter des Zauberhaufens verteidigt. Schon längst haben dort andere Regimenter an Stelle der "Starhemberger" die Verteidigung übernommen. Wieder läßt Mine um Mine diesen letzten Rest der Trümmer zerbersten, und wie dann die Janitscharen am 23. August nochmals mit erdrückender Übermacht stürmen, brechen sie endlich in das letzte Verteidigungsnest der Besatzung ein.

Da versucht Starhemberg am 1. September durch einen großangelegten Ausfall den Druck auf die Besatzung des Burgravelins zu mindern. Aber obgleich es gelingt, dem Gegner bedeutende Verluste beizubringen, zeitigt der Ausfall für die kleine Schar auf dem Ravelin doch keinen Erfolg. Fünfzig Mann unter dem Hauptmann Heisterberg stehen noch dort. Wie nun die Türken wider das noch von den Tapferen gehaltene Eck vorzustürmen beginnen, spielt sich dort im Schutt ein Heldenkampf ab, der sich für alle Zeiten als leuchtendes Beispiel deutscher Soldatentugend erhebt. Mann gegen Mann beginnen diese letzten fünfzig mit den Janitscharen zu ringen. Noch Stunden vorher war es dem Kommandanten von Starhemberg freigestellt worden, diesen letzten Trümmerhaufen zu räumen. Doch Heisterberg hat das kopfschüttelnd abgelehnt, und nun hält er mit beispiellosem Opfermut stand, bis Mann um Mann seiner kleinen Besatzung dem Würgen und Niederringen erliegt. Doch noch immer nicht vermag der Türke den Roßschweif über die Leichenberge zu pflanzen. Im letzten Augenblick kommt der Hauptmann Müller mit einer neuen Schar herangestürmt, und erst als auch dieser Offizier mit gespaltenem Schädel zu Boden sinkt, gelingt es den Türken, die noch zuletzt herbeigeeilte Verstärkung zu bezwingen. Aber auch jetzt wollen die wenigen Überlebenden, die buchstäblich nur mehr an den Steinblöcken kleben, den Burgravelin nicht preisgeben. Da ruft sie ein Befehl Starhembergs, der auf seiner Tragbahre sitzend dem Kampfe von der Burgbastei zusieht, schließlich zurück. Und während diese Tapferen sich Schritt für Schritt aus den qualmenden Schuttresten lösen, steigt der Roßschweif siegreich über dem Feld der Toten auf. Nach dreiundzwanzig Stürmen hat Kara Mustapha den Besitz des Burgravelins mit Strömen von Blut erkauft.

Dieser Fall des Burgravelins scheint der Anfang eines unabwendbaren Endes. Mit neuentfachter, immer hartnäckiger und verbissener wirkender Gewalt fährt der Türke fort, die Bastionen der Stadt zu berennen. Die Hissung des Feldzeichens hat plötzlich wieder den schon gesunkenen Mut der Janitscharen gehoben. Denn bei den Türken war es verschiedentlich schon zu schweren Meutereien gekommen. Nach den Satzung- [40] gen des Korans und altem Kriegsbrauch war es den Janitscharen verboten, länger als vierzig Tage vor ein und derselben Festung zu liegen. Doch nun hat der endlich erfochtene Vorteil die Kampflust im gesamten Türkenlager gehoben. Der endliche Sieg und die Aussicht auf eine unermeßliche Beute treibt die Stürmer zu neuen, wilden Angriffen an. Schon am 4. September rennen viertausend Mann neuerdings gegen die Burgbastei an, und plötzlich erschüttert eine gewaltige Detonation beinahe die ganze Stadt. Eine Mine hat eine zehn Meter breite Bresche in die Bastionen geschlagen. Wenige Minuten später stürmen, klettern und springen die Janitscharen unter einem tausendstimmigen Triumphgeschrei mit geschwungenem Säbel und über den Rücken gehängtem Sandsäcken über die Trümmer hinauf. Schon vermögen sie hier und dort einen Roßschweif auf die Wehren zu pflanzen, da ist Starhemberg wieder und diesmal mit allen seinen Generalen heran. Zum hundertstenmal entrollt sich auf den Bastionen das gleiche blutige Bild. Wieder beginnt der gleiche zermürbende Kampf von Mann gegen Mann, wieder steht eine Handvoll Verteidiger gegen die Übermacht auf. Und auch dieses Mal ist bei den Verteidigern endlich nach stundenlangem Nahkampf der Sieg. Fünfhundert Türken sinken tot in die Trümmer zurück, und als sich endlich die Nacht über den blutigen Kampfplatz senkt, können die Verteidiger mit dem Vermauern der aufgerissenen Bresche beginnen.

Doch wie am 6. September die bisher gewaltigste Mine zwölf Meter breit die Löbelbastei und Escarpe-Mauer gesprengt und nach stundenlangem Ringen, währenddessen wieder zwei Halbmondfahnen auf den Basteien wehen, 1500 Gefallene den zäh verteidigten Kampfraum bedecken, da steigt auch in Wien die Not am höchsten. Unablässig zischen in der darauffolgenden Nacht die Raketen von der Spitze des Stephansturmes auf. Hunderte von Augen starren sorgend nach den dunklen Hohenzügen des Kahlenberges hinüber. Seit Anfang September ist Kolschitzkys treuer Diener Michaelowicz auf seinem letzten Kundschaftergange verschollen und niemand weiß, ob und wann das Ersatzheer nun wirklich heranzieht. Die Nachricht, die Kolschitzky selbst seinerzeit brachte, hat sich als trügerisch erwiesen und niemand weiß, ob nicht vielleicht neu aufgetretene Schwierigkeiten die dringend nötige Hilfe hinausziehen. Dabei brennen im weiten Umkreis tausende und abermals tausende von türkischen Lagerfeuern. Auch in dieser Nacht ist, wie in jeder dieser vorhergegangenen fünfundfünfzig kämpfe- und schreckendurchtosten Nächte, vor den Bastionen das Wühlen, Brechen und Schaufeln der türkischen Mineure zu hören, langgezogen und schaurig dringt der Gesang der Mullahs, der mohammedanischen Priester von den Lager- [41] feuern herüber und fängt sich im unheilverkündeten Echo in den zerschossenen Bastionen der Stadt. Und die Männer, die auf diesen Bastionen wachen, Posten stehen und nach dem Graben und Schaufeln zu ihren Füßen hinablauschen, sind selbst bald am Ende ihrer Kraft. Es ist nicht der Hunger, auch sind es nicht die Seuchen oder der Mangel an Kriegsmaterial, der ihren Mut von Tag zu Tag mehr auf die härtesten Proben stellt. Die Reihen beginnen sich von Stunde zu Stunde in erschreckendem Maße zu lichten. Fünftausend Soldaten und sechzehnhundertfünfzig Männer aus der Bürgerschaft haben der Kampf und die Krankheiten bisher gekostet. Schon steht beinahe kein Kanonier mehr an den Geschützen. Statt der geübten Artilleristen müssen die Büchsenmacher der Zünfte die Geschütze bedienen und sichten. Um die allergrößten Verluste auszugleichen, hat Starhemberg jetzt auch Männer, die niemals Waffen getragen haben, ja selbst Mönche auf die Wälle beordert, und was sie alle am schwersten ertragen, die Seele, der gute Geist des Widerstandes der Bürgerschaft, Liebenberg liegt auf den Tod erkrankt.

Da steigt plötzlich eine Rakete, knatternd, einen weithin sichtbaren Lichtschweif hinter sich hertragend, über den Kahlenberghöhen empor. Und gleich darauf jagt eine zweite ebenso leuchtend mit fernem Gezische durch das Dunkel der Nacht. Noch eine dritte und vierte wird sprühend in die Höhe getragen, und wie dann noch eine fünfte auffährt und langsam in einem glühenden Feuerkranze zerplatzt, da beginnt auf einmal die große Angstern vom Stephansdom anzuschlagen. Erst hallen ihre Schläge zögernd und langsam, doch allmählich erklingen sie schneller und gewinnen an Kraft, und wie in das Schwingen der Glocke schon das Rufen, Schreien und Fragen der zusammenlaufenden Menge aus den Gassen zum Turme hinauftönt, löst sich auch von der Burg- bis zur Schottenbastei eine dröhnende Salve; jubelnd hallt der Glockenton mit dem Donnern der Geschütze zusammen, und nun durchbraust ein tausendstimmiger Aufschrei die dunkle Septembernacht:

Das Entsatzheer ist da - Wien wird befreit!

"O ihr Ungläubigen, wenn ihr nicht selbst kommen wollt, so laßt uns wenigstens eine Mütze sehen; dann hat die Belagerung ein Ende, und wir laufen alle davon!" So und ähnlich sollen die Janitscharen gerufen haben, als sich die Kunde vom Nahen des deutschen und polnischen Entsatzheeres in ihren Reihen verbreitete. Und dieser Ausruf schien wirklich treffend, die üble Stimmung im türkischen Lager wieder- [42] zugeben. Denn, wie bereits angedeutet, stand bei dem Heere Kara Mustaphas schon lange nicht alles zum besten. Das fortwährende, hartnäckige und furchtbare Blutverluste fordernde Anrennen gegen die Stadt hatte Kara Mustapha schon bis Mitte August 11 000 Mann allein an Toten gekostet. Dazu waren noch rund 10 000 Mann an Verwundeten und Kranken gekommen. Was aber vor allem die Mißstimmung unter den Stürmenden wachhielt und von Tag zu Tag steigerte, war die sich verschiedentlich wiederholende Weigerung Starhembergs, den Türken Waffenruhe zur Beerdigung ihrer gefallenen Krieger zu geben. Der Zwang, zwischen den die Laufgräben verpestenden Leichen Tag und Nacht auszuharren und immer wieder über sie hinwegstürmen zu müssen, hatte die Moral des türkischen Fußvolks immer heftiger erschüttert. Freilich wurde darüber auch die Wut gegenüber den Verteidigern um vieles gesteigert. Aber als jeder Stein, jeder Meter der zäh verteidigten Bastionen mit neuen schweren Opfern erkauft werden mußte, war es zeitweilig zu ernsthaften Meutereien gekommen. Und als die türkischen Truppen gewahr wurden, daß, statt des nun endlich in sichtbare Nähe gerückten Erfolges, ein neuer schwerer Kampf mit einem mit frischen Kräften anrückenden Gegner bevorstand, mußten die Befehlshaber des Padischah alle Überredungskunst und auch verschiedentlich grausame Strenge aufbieten, um ihre Truppen für die bevorstehende Schlacht kampfwillig zu stimmen.

Dennoch zeigte sich dann während der Schlacht, daß die Türken auch dieses Mal wieder mit der alten Tapferkeit zu fechten verstanden. Auch hatte ein trotz des Herannahens der deutsch-polnischen Streitmacht mit neuer Verbissenheit vorgetragener Angriff auf die Stadt, der am 9. September den unteren Teil der Löbelbastei in die Gewalt der Osmanen gebracht hatte, die Haltung der Truppen gehoben.

Unerklärlich bleibt trotzdem, weshalb Kara Mustapha nicht die Höhen des Wiener Waldes gegen das herannahende Heer der Verbündeten sichern ließ. Mußte er doch bei aller Überlegenheit an zahlenmäßigen Streitkräften mit einem Gegner rechnen, der ihm aus den während der Belagerungszeit mit den übrigen Teilen des türkischen Heeres gelieferten Treffen den Beweis erbracht hatte, daß er mit meisterlicher Geschicklichkeit zu manövrieren verstand. Nicht umsonst war der Herzog von Lothringen viele Jahre durch Montecuccolis Schule gegangen. Ausgezeichnet mit allen Vorzügen eines edlen, ritterlichen, durch und durch deutsch empfindenden Charakters, der durch die Weigerung, sein Stammland in irgendeiner Abhängigkeit von Ludwig XIV. zu regieren, für so manchen anderen deutschen Reichsfürsten ein Vorbild gewesen wäre, vereinigte Carl von Lothringen auch alle Vorzüge eines klug abwägenden, [43] dann aber auch rücksichtslos zuschlagenden Generals. Unaufhörlich hatte er während der bald zweimonatlichen Belagerung Wiens die übrigen Streitkräfte des Großwesirs in Unruhe und Spannung gehalten. Nachdem er erst jenseits der Donau am Bisamberge ein festes Lager bezogen hatte und noch zweitausendfünfhundert Mann polnischer und kaiserlicher Regimenter zu ihm gestoßen waren, brach er plötzlich gegen Tököly vor, der mit 14 000 Ungarn und 6000 Türken Preßburg belagerte. Am 29. Juli kam es auf den die Stadt umgebenden Höhen zu einer kurzen erbitterten Schlacht. Der verräterische Fürst wurde vernichtend geschlagen und konnte sich späterhin nur mit Hilfe der ihm von Kara Mustapha zur Verstärkung geschickten zehntausend Mann längs der niederösterreichisch-ungarischen Grenze halten.

Neueintreffende Nachrichten hatten die Kunde gebracht, daß ein türkisches Korps versuche, den Übergang über die Donau bei Tulln zu erzwingen. Schnell war Lothringen heran. Auch hier entspann sich wieder ein kurzer, erbitterter Kampf, und als die Sonne am Abend des 24. August über dem majestätischen Strom niedersank, bescheinen ihre letzten Strahlen eine vernichtende osmanische Niederlage.

Endlich war der Zeitpunkt der letzten Vorbereitung für die große Entscheidungsschlacht herangekommen. 11 000 Bayern unter Max Emanuel und dem Generalleutnant Degenfeld waren in Krems eingetroffen. Mit ihnen zogen 1000 Mann Salzburger, die der Bischof Maximilian Graf Kuntnig gestellt hatte. 8000 Mann hatte der Reichsfeldmarschall Georg Fürst zu Waldeck aus Franken und Württemberg gebracht, und mit dem Kurfürsten Georg III. waren 12 000 Soldaten unter der Führung des Feldmarschalls Goltz gekommen. Auch die Polen kamen heran, 27 000 Mann trafen in den ersten Septembertagen mit ihrem König Johann Sobieski, dem Großfeldherrn der polnischen Krone, Fürst Jablonowski, dem Unterhetmann der Krone, Sienawski, und dem Großlagermeister Chalmocki ein. Zusammen mit den kaiserlichen Regimentern vereinigten sich so 87 000 Mann mit 180 Geschützen im verbündeten Lager. Doch jetzt zeigte sich, daß man nicht mit der Eitelkeit des Polenkönigs gerechnet hatte. Statt Lothringen, der als Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen seine Fähigkeiten in den schweren Jahren des ungleichen Kampfes gegen den überlegenen Gegner so oft unter Beweis gestellt hatte, mit der Führung der gesamten Streitkräfte zu betrauen, wurde diese dem Polenkönig übertragen. Etiketterücksichten und diplomatische Erwägungen hatten Kaiser Leopold zu dieser Maßnahme veranlaßt. Auch hier bewies Lothringen wieder den vornehmen, sich selbst bescheidenden Charakter. Ohne Widerrede nahm er die Stellung des untergeordneten Heerführers an, obwohl er sich völlig darüber im [44] klaren war, daß er allein während des zu erwartenden großen Kampfes die eigentliche Verantwortung zu tragen hatte. Er war es dann auch, der den ursprünglichen Plan des Hofkriegsrates und der anderen, erst nach Preßburg zu marschieren und dort durch eine Umgehung der türkischen Belagerungsarmee in den Rücken zu fallen, zu entkräften verstand und kühn den ungleich schwierigeren Angriff über das zerklüftete, waldüberzogene Gelände des Cetischen Gebirges zur Durchführung brachte.

In einem unerhört schwierigen Marsch durch das bedeckte, von Bachläufen und tief eingeschnittenen Waldschluchten durchschnittene bergische Gelände führte Lothringen seine und den überwiegenden Teil der sächsischen Truppen am 11. September von Tulln aus, wo sich das Heer der Verbündeten zum Aufmarsch gruppiert hatte, über St. Andrä nach Klosterneuburg heran. Aber mit noch viel größeren Schwierigkeiten hatten die als Corps de bataille durch das Waldgebirge anmarschierenden Regimenter des Kurfürsten von Bayern und Waldecks, denen dreiundzwanzig Schwadronen der besten kaiserlichen Regimenter unter dem Herzog von Sachsen-Lauenburg mit den Generalen Dünewald, Rabetta, Palffy, Gondola und Buttler sowie der übrige Teil der Sachsen beigegeben waren, zu kämpfen. Nur unter Anspannung aller Kräfte vermochten die Mannschaften ihre Pferde und Waffen, vor allem aber das schwere Geschütz, teils über St. Andrä, teils über Königstetten und das Tal des Tulbinger Baches auf die Höhen des Gebirges zu bringen. Am schwersten mit den Unbilden des Geländes hatte jedoch der polnische rechte Flügel zu kämpfen. Denn Sobieski mußte mit seinen Polen und den ihm zugeteilten vier kaiserlichen Infanteriebrigaden und 6000 österreichischen Dragonern erst weit nach Südosten ausbiegen und kam erst, auf der alten Römerstraße St. Andrä - Gugging - Kierling marschierend, nur sehr langsam an das ihm gesetzte Marschziel, den Dreimarkstein und die Sophienalpe, heran.

So vollzog sich während des 11. September 1683 jener denkwürdige Aufmarsch des großen abendländischen Heeres, der in seiner ganzen Anlage und Ausführung ein beredtes Zeugnis von der Genialität des Lothringers gab. Schon am Vormittag dieses Tages war er selbst auf dem Kahlenberg eingetroffen, und als nach und nach auch die übrigen Heerführer dort zu einer letzten Besprechung zusammenkamen, zeigte ihnen Herzog Carl die zu ihren Füßen liegende kämpfende Stadt.

Als König Johann Sobieski nun dieses Bild tief unten erblickte und man erst jetzt Truppenverschiebungen bei den Türken beobachten konnte, die darauf hinwiesen, daß Kara Mustapha doch noch sein Heer in Schlachtordnung aufzustellen begann, da konnte er es und [45] die ihn umgebenden Generale einfach nicht fassen, daß der Großwesir nicht daran gedacht hatte, den Aufmarsch des Entsatzheeres in den Anmarschlinien zu stören. Mit den Worten "cet homme est mal campé, s'est un ignorant, nous le batterons!" wandte er sich von dem Bilde ab, und nun begann noch einmal eine Beratung, die trotz der Vorstellungen des Herzogs von Lothringen den Beginn des Kampfes erst für den 13. September vorsah. Der Antransport des schweren Geschützes hatte die Durchführung der gesamten Aufstellung für den 12. September unmöglich gemacht. Aber da zwang der sich aus den Höhenstellungen gegen das Wiener Becken entwickelte Aufmarsch der verbündeten Heere doch schon am 12. September zur Schlacht.

Noch liegt die erste Dämmerung des heraufkommenden Tages über dem Kahlenberg und den nahen und ferneren Höhen des Wiener Waldes, als sich schon die Fürsten und Generale des verbündeten Heeres, die zum Gottesdienst des Asketenmönches Marco d'Aviano in der Kapelle des Leopoldsberges zusammengekommen waren, in möglichster Eile trennen. Hat doch noch während des Gottesdienstes plötzlicher Kampflärm und verschiedentlich auch das Aufdröhnen des Geschützes von den jenseitigen Hängen des Kahlenberges die Herren gemahnt, daß die in ihrem Aufstellungsraum einrückenden Truppen eher, als man erwartet hatte, auf einen Gegner gestoßen sind. Der Gegner führt seine Heeresmassen bereits in Schlachtordnung heran und versucht nun scheinbar, die verbündeten Streitkräfte vor Beendigung ihres Aufmarsches in rasch ernster werdende Kampfhandlungen zu verwickeln, während an die 30 000 Mann inzwischen mit Nachdruck die Bastionen der hart bedrängten Stadt weiter bestürmen. Darum verlangen die Herren jetzt auch voller Unruhe nach ihren Pferden. Und während König Sobieski und die übrigen Fürstlichkeiten und Generale mit ihrem Gefolge über die Hänge des Leopoldberges hinab und auf der anderen Seite zu den Höhen des Kahlenberges hinaufsprengen, reitet im Gefolge des Markgrafen Ludwig von Baden auch ein kleiner, schmächtiger Obrist mit, dem Kaiser Leopold erst vor wenigen Tagen das Dragonerregiment Kuefstein verliehen hat, Prinz Eugen von Savoyen.

Sich dicht neben dem Markgrafen haltend, gewinnt der jugendliche Obrist jetzt als einer der ersten den Kamm des Kahlenbergwaldes. Da hält der Markgraf noch einmal sein Pferd an. Auch der Obrist von Savoyen zügelt seinen Rappen. Gebannt läßt er den Blick über die sich vor seinen Augen entwickelnden Streitkräfte schweifen.

[46] "Seine Durchlaucht, der Generalleutnant von Lothringen, kann sich zu der Ehre beglückwünschen, daß sein Flügel am heutigen Tage als erster mit dem Feind aneinander gerät", wendet er sich im höflichen Französisch an seinen Vetter, den ebenfalls noch jugendlichen, selbst noch nicht dreißigjährigen Markgrafen. "Doch deucht' es mich, als ob das stürmische Vordringen der Bataillone des Herzogs von Croy zur Stunde noch nicht in den Absichten des Generalleutnants läge!"

"Sehr wahr, Prinz! Croy und Caprara greifen viel zu voreilig an und lassen sich engagieren, ehe die Bayern aus den Wäldern heraus sind", entgegnet der Markgraf. "Doch kommt, Vetter, ich sehe dort drüben den Generalleutnant schon selber eiligst zum Herzog von Croy hinabjagen, aber vorher noch eins: Versprechen wir uns, daß dieser Tag unsere Reiter als erste vor den Toren der Stadt sieht!"

Da streckt der Obrist von Savoyen seinem nur um wenige Jahre älteren Vetter schweigend die Hand hin. Gleich darauf zügelt der Obrist von Savoyen seinen Rappen vor dem Dragonerregiment Kuefstein. Der Markgraf Ludwig und der General der Kavallerie Graf Caprara aber erhalten schon wenige Augenblicke später vom Herzog von Lothringen den Befehl, die drei hintereinanderstehenden Treffen der Dragoner und Kürassiere als Flankendeckung des linken Flügels längs der Donau nach vorne zu führen. Und nun trabt auch der Obrist Eugen von Savoyen zum ersten Male in seiner soldatischen Laufbahn vor der eigenen Truppe als Befehlshaber an.

Jetzt entbrennt auf der gesamten Front die Schlacht. General Prinz Croy hat seine Regimenter etwas zu früh gegen die über Nacht errichteten Verhaue des Feindes in den Weinbergen am Schreiberbach vorgehen lassen. So entwickelt sich hier schon ein erbitterter Kampf, ehe das Zentrum mit den Bayern und einem Teile der Sachsen eine Rechtsschwenkung durchgeführt hat, die geplant war, und diese nun über den Hermannskogel und oberhalb Döblings herabkommen. Auch die Polen am rechten Flügel sind noch lange nicht über Dornbach und Hütteldorf heran. So versucht nun Lothringen persönlich, den Fehler Croys durch eine um so kräftigere Bindung des gegnerischen Flügels wettzumachen und Kara Mustapha durch eine unausgesetzte Bedrohung des kürzesten Anmarschweges auf Wien vor der Ausnützung der beiden entstandenen Lücken abzuhalten. Doch es hat schon jetzt, während des Beginns der Schlacht, den Anschein, als sollte der Polenkönig mit seinem Urteil über den Großwesir Recht behalten. Statt die gefährdete Lage des Heeres der Verbündeten zu erkennen, läßt Kara Mustapha seine Streitkräfte, die er im Zentrum selber befehligt, in den während der Nacht errichteten Verteidigungslinien auf halber Höhe der Berghänge halten und weist [47] auch jetzt noch die Vorstellungen des Befehlshabers am linken türkischen Flügel, Ibrahim, überheblich zurück, der in ihn dringt, den vorpreschenden linken kaiserlichen Flügel in der Flanke zu fassen.

Am heftigsten entbrennt nun der Kampf bei den dreizehn kaiserlichen Bataillonen des Feldmarschalls Hermann von Baden. Der schließt jetzt mit Croy, Leslie und Salm als Zentrum des linken Flügels an die längs der Donau vorreitenden Reitergeschwader an. Den rechten Flügel der Truppen des Lothringers bildet der größere Teil der Sachsen, die unter dem Kurfürsten Georg III. und dem Feldmarschall von der Goltz gegen die türkischen Verhacke in den Hohlwegen oberhalb der zerstörten Häuser von Heiligenstadt vorrücken. Bald ist dort Freund und Feind in ein erbittertes Ringen verwickelt. Musketensalven, das Getöse des Nahkampfes und das anfeuernde Rufen der Befehlshaber hallt aus dem übersichtlichen Gelände bis zu den Geschützstellungen Leslies auf den Höhen des Kahlenberges hinauf. Im allzu stürmischen Vorgehen haben Croys Bataillone die ersten Verhaue des Gegners oberhalb Nußdorfs genommen. Doch in den Ruinen von Nußdorf hält der türkische Befehlshaber Kara Muhamed von Diabekir mit asiatischen Truppen hartnäckig stand. Schritt um Schritt müssen die Kaiserlichen sich die Ortschaft erkämpfen. Fast um jedes einzelne Haus, ja um Stuben und Keller wird erbittert gefochten, und weil der Yatagan in den Händen der behenden Asiaten eine verheerende Waffe ist, kommt das schwerfällige Fußvolk der Kaiserlichen mit seinen langen Piken nur wenig gegen die Gegner an. Da läßt der Herzog von Lothringen Leslie seine leichten Geschütze von Kahlenberg herab bis in die Reihen des Fußvolkes vorschicken. Und nun jagt Kartätsche um Kartätsche endlich den Gegner aus der Ortschaft zurück. Doch am Dorfausgang stellt sich Kara Muhamed wieder, und erst als Croy seine Obristen und Hauptleute die Kompanien gliederweise mit vollen Fronten formieren läßt und das von den Türken gefürchtete "Schlagt an!" des Feuerbefehls für die hinter den Pikenieren vorrückenden Musketiere erklingt, säubert Salve um Salve schließlich den tapfer verteidigten Ortsrand.

So kann der Feldmarschall Hermann von Baden dem Lothringer um acht Uhr morgens die Erstürmung von Nußdorf melden. Auch der weißhaarige Feldmarschall von der Goltz ist mit seinen Sachsen im zähen Vorwärtsstürmen bis und durch Heiligenstadt gelangt. Auch hier haben die bei den Sachsen ebenfalls vorgezogenen kaiserlichen Geschütze ganze Arbeit getan.

Nun jedoch verzögert eine neue und mit viel Geschick aufgeführte gewaltige Schanze dicht hinter Nußdorf neuerdings den Vormarsch Croys und Hermanns von Baden. Voll besetzt mit Verteidigern, die sich un- [48] aufhörlich noch weiter durch Zurückflutende und "Zurückbringer" auffüllt, gebietet sie sowohl den Kaiserlichen als auch den Sachsen in breiter Front Halt.

Ehrgeizig läßt Croy daraufhin sein österreichisches Fußvolk vorstürmen. Aber das empfängt, sobald es bis hart an den Erdwall heran ist, ein solcher Regen von Pfeilen, Kugelgeschossen, siedendem Pech und geschleuderten Feuerbränden, daß nur wenige Tollkühne die Schanze erklimmen und der Sturm auch diesmal wieder erfolglos im Gegenstoß der über den Wall herabstürmenden Asiaten zerschellt.

Da jagt plötzlich der Herzog von Lothringen zu dem Markgrafen von Baden hinüber und gibt ihm den Befehl, das Dragonerregiment Heißler sofort absitzen zu lassen, um den Feldmarschalleutnant von Croy beim Sturm auf die Schanze zu unterstützen. Markgraf Ludwig von Baden sprengt zu dem genannten Dragonerregiment herüber. Doch wie er am Regiment Kuefstein vorbeikommt, verhält er vor dem Obristen von Savoyen für wenige Sekunden sein Pferd und ruft diesem laut aus dem Sattel hinüber:

"Wollt hier bis auf weitere Order mit Eurem Regiment dem Grafen Caprara folgen, mein Prinz. Sollte mich Seine Durchlaucht für die Dauer der Schlacht anderenorts beordern, bleibt die Parole, die wir versprachen: Unsere Reiter als erste vor Wien!"

Da reckt der Obrist von Savoyen seine kleine Gestalt hoch in den Bügeln. Laut und scharf hallt sein Kommando, das dem Regiment den Befehl erteilt, Capraras Reitergeschwadern zu folgen, noch hinter dem Markgrafen her. Der ist inzwischen schon an den Obristen Heißler herangesprengt, und gleich darauf erdröhnt der Boden vom vielhundertfachen Galopp der Dragoner.

In schärfster Gangart führt der Markgraf Ludwig und der hagere Oberst Heißler die Reiter nach Nußdorf heran. Wenige Minuten später ist das Regiment durch die Ortschaft gerast, und sofort läßt Heißler zwischen den Treffen des Fußvolkes die Dragoner ein Exerzitium vorführen, das in seiner Exaktheit selbst den Führern und Mannschaften des zur Seite schwenkenden Fußvolks Bewunderung abringt. Im Nu sind die Dragoner abgesessen. Die Pferde werden in drei Gliedern "geküpelt", und dann formiert Eskadron hinter Eskadron die Mannschaften in drei Gliedern "gestellt zu chargieren"! Die Dragonermusketen hochgereckt in den Fäusten, marschieren die abgesessenen Reiter im Sturmmarsch gegen die türkische Schanze heran. Schmetternd geben die Reiterhörner den Dragonern das Feuersignal. Während die Glieder abwechselnd ihre rollenden Salven in die Reihen der Schanzenverteidiger jagen, sprengt auch der Herzog von Lothringen wieder daher, reitet bis dicht an die Glieder, und als jetzt auch die vordersten Treffen ihre [49] Musketen entladen, gibt er persönlich den Sturmbefehl. Im nächsten Augenblick berennen die abgesessenen Reiter die Schanze. Ein neues erbittertes Schlagen beginnt. Endlich beginnen die ersten Türken zu weichen. Da wogt neben den Dragonern auch das wieder vorgehende Fußvolk jubelnd über die Schanzenbrüstung. Nun gibt es bei dem Gegner kein Halten. Siegreich flattert die Standarte des Dragonerregiments Heißler über den niedergerissenen Verhauen. Als der Herzog von Lothringen über die Wallbrüstung sprengt, grüßt ihn nicht enden wollendes Siegesgeschrei; das gefährlichste Bollwerk des Feindes vor Wien ist gewonnen.

Erst jetzt befiehlt Lothringen seinem Flügel, zu halten. Eben, gerade als er selbst über den Wall heraufsprengte, hat ihm ein Offizier des Feldmarschalls von der Goltz das Erscheinen der ersten sächsischen Truppen des Zentrums auf den Hängen des Kobenzl gemeldet. Beruhigt kann er das Vorgehen des Zentrums abwarten. Brüllt doch jetzt mit einemmal längs der anderthalbstündigen Frontlänge des verbündeten Heeres auch im Zentrum die Schlacht auf. Im Sturmschritt rennen Bayern und Reichstruppen, die schweren Strapazen eines stundenlangen hinter ihnen liegenden Anmarsches durch unwegsames Gelände nicht achtend, vom Hermannskogel auf Döbling herab. Im zähen Kampf wird Grinzing von den Sachsen des linken Zentrums genommen, und auch bei den Bayern und Reichstruppen Waldecks zwingen die Deutschen Kara Mustaphas Zentrum trotz der Weinberge, Hecken und dicht hintereinander gestaffelten Verhacke Schritt um Schritt in die Talebene herab.

Doch wo bleiben die Polen? Schon ist es Mittag geworden und Lothringen hat Mühe, seinen Flügel weiter angesichts der im Pulverdampf liegenden Stadt und des greifbar nahen türkischen Lagers zu halten. Ordonnanz um Ordonnanz schickt man zu dem äußersten Flügel des Zentrums hinüber. Da flattern endlich gegen die erste Mittagsstunde die Fähnchen der polnischen Lanzenreiter bei Dornbach auf. Auch das Erscheinen kaiserlicher Bataillone und Reiter auf dem Galitzinberge ist zu erkennen, aber für die Ausführung des Gedankens, den Lothringen dem Schlachtplan zugrunde legte, nämlich durch das weite Ausholen des Flügels die türkische Schlachtordnung zu umfassen, ist es zu spät. Der rechte Flügel unter dem Oberbefehl Sobieskis hat zu lange zu seiner Entwicklung in die Schlachtordnung gebraucht. Wohl brechen jetzt die polnischen Husaren der Prinzen Alexander und Felix Potocki mit den Panzerreitern Stanislaus Potockis ungestüm gegen die Türken herab. Aber ihr Ungestüm bringt plötzlich den ganzen rechten Flügel in schwerste Gefahr. Ibrahim, der Pascha von Ofen, der Sobieski gegenüber befehligt, läßt die polnischen Reiter kaltblütig seine Schlachtfront durch- [50] brechen, und wie sie mitten zwischen den Flügeln seiner Heerhaufen sind, wirft er sich mit solchem Ungestüm in ihre Flanken, daß die Türken den Keil der polnischen Reiter beinahe gänzlich vernichten. Nur mit Aufbietung aller Kraft vermag das österreichische Fußvolk, das Sobieski beigegeben ist, durch zähe Abwehr des nun einsetzenden türkischen Ansturmes, zu dem auch ein Teil des Zentrums unter Kara Mustapha einschwenkt, auf dem Galitzinberg die Aufstellung der polnischen Hauptmacht zu decken. Jetzt erst gelingt es Sobieski, mit der ganzen Gewalt seiner Streitkräfte auf Ibrahim Pascha zu drücken. 7000 Reiter, Husaren und Gepanzerte schickt er gegen den kriegserfahrenen Pascha von Ofen vor, während kaiserliche und bayrische Schwadronen unter Rabetta und dem Markgrafen von Bayreuth mit sechstausend polnischen Dragonern unter Matigny seine Flanken gegen die leichte Reiterei Ibrahims decken. Aber der alte türkische Haudegen gibt sich auch vor dem Ansturm der gewaltigen Reitermassen noch lange nicht geschlagen. Nur schwer können die polnischen Reiter die auch hier überall die Wege versperrenden Weinberge und Hecken überwinden. Erst als es Sobieskis Gepanzerten gelingt, durch eine Schwenkung einen Teil entgegensprengender türkischer Reiter abzudrängen und die sich nun, von zwei Seiten gefaßt, gegen die vorgehende polnische Infanterie oberhalb Weinhaus und Ottakring wenden, wird die türkische Schlachtordnung an dieser Stelle zerrissen und bald darauf die Verbindung zwischen dem polnischen Flügel und den Bayern durch polnische Lanzenreiter hergestellt.

Entschlossen, nicht nur den Sieg, sondern durch diesen Sieg auch die Entscheidung und völlige Vernichtung des Feindes zu erzwingen, reitet Lothringen zu den Generalen der an seinem rechten Flügel haltenden Sachsen heran und ruft mit laut schallender Stimme, daß es die Bataillone der Sachsen und Kaiserlichen deutlich und unwiderruflich hören:

"Marchons donc messieurs! - Vorwärts, ihr Herren, marschieren wir nach Wien!"

Als wenn das Zwingende dieser Parole den Soldaten, die unter dem Befehl des Lothringers stehen, gesteigerte Kräfte verliehen hätte, so werfen sich Kaiserliche und Sachsen auf die letzte Stellung der Türken. Im stürmischen Handgemenge wird der Gegner auf seinen Verhauen am Krottenbach geworfen; die mit sechs Geschützen armierte Türkenschanze bei Döbling fällt in die Hände der Sachsen, und während dadurch auch Sievring und Gersthof in ihren Besitz gelangt, tragen die Bayern und Reichstruppen im Zentrum ihren Angriff über Währing und Hernals hinaus. Noch wird erbittert bei den Polen gefochten. Ibrahim Pascha wehrt sich wie ein Löwe, und solange der Kampf im Zentrum für die Türken zwar unglücklich, aber doch noch mit der Aus- [51] sicht auf die Möglichkeit eines geordneten Rückzuges dauert, zieht er sich nur langsam und fortwährend fechtend auf die hinter ihm stehenden Treffen zurück.

Herzog Carl von Lothringen, der Befreier Wiens.
[36]      Herzog Carl von Lothringen,
der Befreier Wiens.

Die bedeutendsten Führer in den Türkenkriegen Zeitgenössischer Stich.
(Historischer Bilderdienst, Berlin)
Da befiehlt der Lothringer seinem Flügel, angesichts des türkischen Lagers rechts einzuschwenken. Jetzt vollzieht sich etwas, was bis dahin nach den Gepflogenheiten des noch vielfach in den Überlieferungen des Dreißigjährigen Krieges steckenden Heeres unerhört scheint. Herzog Carl von Lothringen wirft das sich ihm entgegenstellende irreguläre Fußvolk der Osmanen in ihr Lager zurück und marschiert, ohne daß auch nur ein einziger der Soldaten aus dem Gliede tritt, mitten durch das von Beutestücken strotzende türkische Lager. Diese musterhafte Ordnung der Kaiserlichen und Sachsen sichert dem Verbündeten den Sieg und wird die Ursache von Kara Mustaphas endgültiger Vernichtung. Plötzlich am eigenen rechten Flügel in der Flanke gefaßt, aufgerollt und nun in der Rechten des Zentrums gefaßt, beginnt der Kern des türkischen Heeres, die im letzten Treffen aufmarschierende Janitscharengarde, unter ihrem Aga zu wanken. Es nützt nichts, daß Kara Mustapha, der in diesem Augenblick endlich die hereinbrechende Katastrophe erkennt, in wilder Verzweiflung die grüne Fahne des Propheten entfaltet. Auch daß er in letzter Sekunde seinem Widersacher, dem tüchtigen Ibrahim Pascha, den Oberbefehl über die noch nicht aufgeriebenen Heerhaufen überträgt, kann das Schicksal der osmanischen Waffen nicht wenden. Sosehr sich Kara Mustapha selber mit gezogenem Säbel, mit Drohungen, Verwünschungen und sogar mit Bitten den gegen seine Garde Zurückflutenden entgegenstemmt, so bleibt doch die Bresche in seine Besten geschlagen. Noch einmal sammelt Osman Aga im linken Flügel des Zentrums und gegenüber den Polen Tausende der besten türkischen Reiter. Aber der Gegenangriff der polnischen Lanzenreiter Johann Sobieskis trifft die anreitenden Spahis mit einer solchen gewaltigen Wucht, daß die Schwärme der Araber einfach zerflattern. Nun jagen auch die Bayern das letzte Treffen der Janitscharen im frontalen Ansturm über die Schmelz und St. Ulrich zurück. Kaum, daß es dem tapferen Tatarenaga Hadschi-Giray gelingt, die Fahne des Propheten aus einem wütenden Handgemenge zu retten, denn schon brechen aus dem eingeschwenkten linken Flügel des Lothringers Dragonerregimenter im Galopp gegen die weichenden Janitscharengarde vor; haltlos versuchen nun auch die letzten, die Widerstand geleistet haben, in der Flucht ihre Rettung. Während Kara Mustapha selber auf einem Renner gegen Petronell davonsprengt, jagt ein kleiner Obrist mit seinen Dragonern ungestüm zwischen den Fliehenden bis zu den Laufgräben vor dem Schottentor der Kaiserstadt vor, gewinnt mit den
Markgraf Ludwig von Baden, der ''Türkenlouis''.
[36]      Markgraf Ludwig von Baden,
der "Türkenlouis".

Die bedeutendsten Führer in den Türkenkriegen Zeitgenössischer Stich.
(Historischer Bilderdienst, Berlin)
Kuefsteindragonern [52] im tollen Ritt die Spitze vor dem Markgrafen Ludwig, und hält mit schäumendem Rappen genau um die fünfte Nachmittagsstunde vor Wien. Unter schmetterndem Trompetenschall verkündet er und der Markgraf Ludwig von Baden den Wienern auf den Bastionen den Sieg. Wenige Minuten später öffnen sich die Tore, und als die Verteidiger der Stadt durch die leer gewordenen Laufgräben den Rettern entgegenstürmen, weist der kleine Obrist mit dem Pallach nur stumm gegen Schönbrunn und den Wiener Berg hinüber, über deren Anhöhen soeben die letzten flüchtenden Türken unter der Führung Ibrahim Paschas verschwinden. 4000 Gefallene der Verbündeten decken die Walstatt des Sieges. Den Türken aber hat die Schlacht mehr als 10 000 Tote gekostet. Schier unermeßlich scheint die Beute, welche die Sieger im Lager Kara Mustaphas finden. Aber wie sehr auch 117 erbeutete Geschütze, oder 20 000 Metallhandgranaten, ebenso viele Büffel, Ochsen, Kamele und Pferde und eine für jene Zeit schier unfaßbare Menge an sonstigem Kriegsmaterial den Verbündeten das Ausmaß ihres Erfolges verkünden, so vermag diese gewaltige Beute nicht die Opfer auszugleichen, die Wien als Bollwerk der Ostmark gebracht hat. Von über 1000 Schüssen getroffen, blickt der Stephansdom auf ein Trümmerwerk herab, das König Sobieski in einem Schreiben an seine Gemahlin "einen Anblick herabgestürzter Felsenmassen" nennt. Über 100 000 Bomben und Kanonenkugeln hat der Türke in die unglückliche Stadt geworfen, mit 41 Minenladungen hat er ihre Bastionen zersprengt, 50 Stürmen hat sie heldenhaft widerstanden, und als sich nun der Abend des 12. September unter dem feierlichen Glockengeläut der Erlösung über die Stadt niedersenkt, hat sich Wien als ewiges Zeugnis deutschen Opfermutes in das Buch der Geschichte eingetragen. Eine unvergeßliche Verpflichtung, zu der sich diese Stadt auch heute wieder bekennt!

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Österreichs Blutweg
Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland
Anton Graf Bossi Fedrigotti